Zu diesem Schluss kommt jetzt zumindest eine Studie.
Lesen Sie:
Helikopter-Eltern kreisen wie Hubschrauber über ihren Kindern
Gut gemeint, aber zu viel
Die Folgen des Überbehütens und Kontrollierens
Kinder von Helikoptereltern haben später schulische Probleme
Das Problem, es nicht richtig und erst recht niemandem recht machen zu können
Dennoch: Zu viel, ist zu viel! Wie Sie aufhören, ständig über Ihrem Kind zu kreisen
Aber trotzdem: Bitte aufhören mit dem nervigen Eltern-Bashing!
Mittlerweile wird man vor der Einschulung der eigenen Brut darüber belehrt, dass Kinder lernen müssen, den Schulweg allein zu bewältigen und wie sie es trotzdem sicher in die Schule schaffen, auch ohne dass Mutti oder Vati sie direkt auf der Schulbank absetzen. Das ist nicht leicht auszuhalten für Eltern mit einem größeren Bedürfnis, jeden Schritt und Tritt ihres Nachwuchses überbehütend und kontrollierend zu begleiten.
Während ich mich an Nachmittage in meiner frühen Jugend erinnere, an denen ich stundenlang irgendwo durch die Wiesen und Wälder oder in unserer Kleinstadt mit meinen Freunden um die Häuser zog, wird sich heute kaum ein Kind mehr von der 500-Meter-Leine vom elterlichen Haus losreißen können. Dazu gibt es sogar Studien. Die Folge: Lange Staus und wild parkende Autos in den Schulzufahrtswegen und leider auch unselbstständige Kinder mit emotionalen und schulischen Problemen. So lautet jedenfalls das Ergebnis einer 2018 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie aus den USA.
Helikopter-Eltern kreisen wie Hubschrauber über ihren Kindern
Eltern, die ihre Kinder – wenn auch in guter Absicht – anleiten, begleiten, verfolgen, behüten und wie Hubschrauber ständig über ihnen kreisen, gab es auch schon vor 40 oder vor 60 Jahren. Den Begriff „Helikopter-Eltern“ gibt es seit knapp 30 Jahren. Diese Art Eltern findet man immer noch. Sogar recht viele davon. Es liegt ja auch ein wenig in der Natur der Sache, also der Elternschaft. Denn letztlich geht es dabei ums Behüten und Beschützen. Nur, und das ist der Haken an der Sache, es ist ein bisschen viel des Umsorgens, letztlich ein bisschen viel Elternsein (deshalb wird im Englischen auch oft der Begriff „overparenting“ verwendet).
Gut gemeint, aber zu viel
In meiner Schulzeit war es die Mutter meiner Schulkameradin, die zuverlässig in der großen Pause ihrer Tochter die Schulbrote nachbrachte, die Anne, wie fast täglich, zu Hause vergessen hatte. Was bei uns Mitschülern damals zum Amüsement beitrug, Anne Hänseleien und mir die leckeren Leberwurstbrote (die Anne nicht mochte und deshalb wohl so regelhaft vergaß) einbrachte, führt heute zu verzweifelten Erziehern und Lehrern. Denn die Kontrolle der Eltern reicht bis an den Mittagstisch in der Kita („Können Sie bitte dafür sorgen, dass mein Sohn zu jeder Nudel auch einen Teelöffel Soße isst. Und Pudding bitte nur ungesüßt!“) und zur sekündlichen WhatsApp-Begleitung der Eltern auf dem Schulausflug („Wo seid ihr jetzt? Wo ist eure Lehrerin gerade? Kannst du sie fragen, ob daran gedacht wurde, dass alle ausreichend trinken bei der Hitze? Seid ihr jetzt da? Sag der Lehrerin, sie soll schauen, ob die sanitären Anlagen auch gereinigt wurden.“).
Zugegeben, diese Art des Mikromanagements ist für Außenstehende nicht leicht nachzuvollziehen und führt nicht selten zur Belustigung und Bestsellern in den Buchhandlungen (1, siehe Anmerkungen am Ende des Artikels).
Was es mit Kindern macht, wenn die Eltern ständig um die Kinder kreisen, alle Probleme von ihnen fernzuhalten oder für sie zu lösen versuchen, über jede Aktivität im Detail informiert sind und regulierend eingreifen, wenn nicht alles ihren Vorstellungen entspricht, darüber wird viel spekuliert. Die wissenschaftliche Studienlage dagegen ist eher dünn. Nun haben amerikanische Wissenschaftler nachgewiesen: Kinder überkontrollierender Eltern bekommen Probleme. (2)
Die Folgen des Überbehütens und Kontrollierens
Es ist wissenschaftlich nicht ganz einfach, die Auswirkungen einer Erziehungsmethode auf ein Kind zu überprüfen. Zum einen lässt sich erst nach Jahren oder Jahrzehnten beobachten, wie sich die Kinder letztlich entwickeln und zum anderen sind sie vielen verschiedenen, auch weniger gut zu kontrollierenden, Einflüssen ausgesetzt, die alle auch eine Bedeutung für die Reifungsprozesse haben können. Diese dann in eine Kausalkette zu bringen, wird auch in Zukunft nicht trivial sein.
Dennoch schreiben anerkannte Pädagogen dem Überbehüten der Eltern ein nicht geringes Risiko zu, dass die Kinder eher zu unselbständigen Jugendlichen und später Erwachsenen werden. Wenn Kinder vor allen Problemen beschützt werden, können sie selbst nie Lösungsstrategien entwickeln oder lernen, auch mit negativen Erfahrungen umzugehen und aus Fehlern zu lernen. Der Kinder-und Jugendpsychiater Michael Winterhoff sieht einen Zusammenhang zwischen überbehütenden Eltern und verhaltensauffälligen Kindern (3). Helikopter-Eltern sind nicht mehr in der Lage, sich von ihren Kindern abzugrenzen, Kinder sind Teil ihrer selbst und das Glück ihres Kindes wird zum eigenen. Dies beeinträchtige aber in massiver Weise die Persönlichkeitsentwicklung; Kinder werden so nicht zu eigenständigen, konfliktfähigen Wesen erzogen.
Jesper Juul, dänischer Familientherapeut, ist der Meinung, dass Curling-Eltern, wie sie in Dänemark genannt werden, „weil sie wie beim Eisstockschießen alle Hindernisse vor ihrem Kind aus dem Weg räumen“, ihre Kinder zu gefühlskalten Zeitgenossen heranziehen. „Sie ersparen ihren Söhnen und Töchtern sogar den Anblick eigener Trauer, etwa beim Tod der Großeltern. Solche Kinder wissen nichts über andere Menschen und nichts über sich selbst. Sie wissen nicht, was es heißt, traurig oder frustriert zu sein, sie kennen deshalb kein Mitgefühl.“ (4).
Kinder von Helikoptereltern haben später schulische Probleme
In der eingangs erwähnten amerikanischen Studie (2) wurden nun 422 Kinder (mit ihren Müttern) im Alter von zwei, fünf und zehn Jahren beobachtet.
Im Alter von zwei Jahren wurde eine Mutter-Kind-Interaktion initiiert, in der das mütterliche Verhalten beobachtet wurde. Überkontrollierendes Verhalten der Mutter wurde in der beobachteten Spielsequenz als solches kodiert, wenn die Mutter z.B. große Kontrolle über das Spiel und das Kind übernahm, zu streng und fordernd dem Kind Hinweise gab, wie mit den Spielzeugen zu spielen sei oder die Aktivität für das Kind strukturierte und führte. Ebenfalls wurden Anweisungen, die häufig wiederholt oder mit Gesten oder körperlichen Manipulationen begleitet wurden, als überkontrollierend bewertet.
Im Alter von fünf Jahren wurden die Kinder hinsichtlich ihrer Emotionsregulationsfähigkeit getestet, also inwiefern sie mit Frustrationen umgehen können und über eigene Stressregulationsmechanismen verfügen (5). Zudem wurde die Fähigkeit getestet, impulsive oder automatische Reaktionen zu kontrollieren. Die so genannte inhibitorische Kontrolle ermöglicht durch logisches Denken, Konzentration und Aufmerksamkeit besser an bestimmte Situationen angepasste Antworten als die möglicherweise unpassenden automatischen Reaktionen zu finden. Ebenfalls wurden die fünfjährigen Kinder von ihren Lehrern/Erziehern hinsichtlich ihrer emotionalen, kognitiven und sozialen Kompetenzen bewertet. Die sozialen Fähigkeiten wurden noch einmal von den Lehrern im Alter von zehn Jahren bewertet und die Kinder selbst nach emotionalen oder schulischen Problemen befragt.
Im Ergebnis der Studie konnte ein Zusammenhang zwischen überkontrollierendem Verhalten der Mütter in der frühen Kindheit und späteren Problemen in der Emotionsregulation und Selbstkontrolle der Kinder gezeigt werden. Dies wiederum kann es den Kindern in der Schulumgebung schwerer machen und sie können schulische Probleme bekommen. Die leitende Forscherin der Studie sagte in einer Pressemitteilung: „Unsere Forschung hat gezeigt, dass Kinder mit Helikoptereltern möglicherweise den Anforderungen des Erwachsenwerdens weniger gerecht werden können. Kinder, die ihre Emotionen und ihr Verhalten nicht selbst regulieren können, neigen eher dazu, sich im Schulleben nicht zurechtzufinden und haben Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen.“ (6)
Das Problem, es nicht richtig und erst recht niemandem recht machen zu können
Wollen wir zunächst noch einmal auf die Studie blicken. Das Verhalten der Mutter wurde in sechs Minuten beobachtet und bewertet. Der Mutter (dass der Vater auch eine Rolle in der Erziehung spielt und möglicherweise ganz anders mit dem Kind umgeht, blieb völlig unbeachtet) wurde gesagt, sie solle vier Minuten mit ihrem zweijährigen Kind spielen, so wie sie es auch zuhause tun würde. Danach solle sie gemeinsam mit dem Kind aufräumen. Für zwei Minuten.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich diese Aufgabe bekommen würde und weiß, ich werde beobachtet, dann würde ich mir doch wohl besondere Mühe geben, mit dem Kind zu interagieren und besonders gut meine Elternrolle ausfüllen wollen. Möglicherweise würde man über das Ziel hinausschießen. Gut gemeint und im Glauben, dass zu viel besser ist als zu wenig. Denn das, so wird es uns Eltern gesagt, ist ja erst recht nicht gut.
Von dieser verzerrten Situation des Beobachtetwerdens abgesehen, was können sechs Minuten unter Beobachtung über die lange, lange Erziehungszeit von zehn, zwanzig Jahren aussagen? Vermutlich nicht allzu viel. Und erst recht lassen sie keine Prognose darüber zu, was aus unseren Kindern einmal wird. Denn letztlich spielen doch nicht nur die mütterlichen und väterlichen Erziehungsstile eine Rolle, sondern das Kind ist zahlreichen weiteren Einflüssen ausgesetzt und – das vergessen wir allzu gern – bringt jede Menge eigene Persönlichkeit mit, die sich mehr oder weniger formen lässt.
Dennoch: Zu viel, ist zu viel! Wie Sie aufhören, ständig über Ihrem Kind zu kreisen
Soweit zur Wissenschaft. Aber was ist in der Realität zu tun? Ab und an kann man ja mal ein wenig zurücktreten, sich selbst beobachten und sich ein paar Fragen stellen lassen. Zum Beispiel: Räumen Sie für Ihr Kind auch möglichst alle Hindernisse aus dem Weg? Fühlen Sie sich in Ihrem Wunsch ertappt, über jede Aktivität Ihres Kindes informiert sein zu wollen und jedes seiner Probleme zu lösen? Wer sieht schon gern das eigene Kind straucheln! Aber anstatt seine Aufgaben komplett zu übernehmen, beraten Sie es, sprechen Sie gemeinsam über mögliche Lösungen, hören Sie zu und ermutigen Sie es, eigene Wege zu finden. Bedenken Sie, selbst Fehler und Misserfolge und Enttäuschungen, die ihr Kind heute erlebt, können wertvolle Erfahrungen für die Zukunft sein. Auch wenn es hart für Sie ist, anzusehen, wenn ihr Kind nicht nur gute Erfahrungen macht, erinnern Sie sich selbst daran, dass Elternsein ein Marathon und kein Sprint ist. Wenn Ihre Kinder jetzt lernen, Probleme zu lösen, sind sie für den langen Lebenslauf gut vorbereitet.
Aber trotzdem: Bitte aufhören mit dem nervigen Eltern-Bashing!
Gar keine Frage, überfürsorgliches, kontrollierendes Elternverhalten kann nerven. Auch als Mitmutter verdrehe ich manchmal die Augen über meine Leidensgenossinnen. Manchmal bekomme ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht wie sie über jeden Augenaufschlag meiner Brut informiert bin. Und genau das ist das eigentlich Schlimme, wir Eltern sind total verunsichert, wie es richtig geht. Schaut man sich die Medienlandschaft an, die voll der Listen der Elternversagen sind und nicht hadern, in jedem gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Elternverhalten einen kausalen und direkten Zusammenhang für jede pathologisierte Auffälligkeit der Kinder zu sehen, kann man es ohnehin nur falsch machen. (7)
So gesehen kann es auch an uns abprallen. Nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt‘s sich völlig ungeniert. In diesem Sinne: Lassen Sie uns doch einfach weitererziehen, mit guten Gefühlen und in bestem Wissen und Gewissen. Und vielleicht mit etwas mehr Gelassenheit.
(1) u.a. Lena Greiner, Carola Padtberg (2017): Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag!, Ullstein, Berlin.
(2) https://www.apa.org/pubs/journals/releases/dev-dev0000536.pdf
(3) Lena Greiner, Carola Padtberg (2017): Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag!, Ullstein, Berlin. S. 218 ff.
(4) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-84339473.html
(5) Hier wurde die so genannte „I`m not Sharing“-Aufgabe eingesetzt: (Lab-TAB Version 2.0; Goldsmith & Rothbart, 1993). Während dieser Aufgabe teilt der Versuchsleiter Süßigkeiten zwischen sich und dem Kind. Er selbst gibt sich dabei mehr Süßigkeiten als dem Kind und nimmt dann auch noch die Süßigkeiten des Kindes und isst sie.
(6) https://www.apa.org/news/press/releases/2018/06/helicopter-parenting
(7) https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schluss-mit-dem-eltern-bashing-lob-der-helikopter-eltern-12536105.html