Frauen sollen heutzutage alles unter einen Hut kriegen: Job, Kinder, Beziehung – und dabei, bitte schön, gut aussehen. Mehr noch: „fickbar“ bleiben, wie es Bloggerin und Autorin Katja Grach in ihrem Buch „MILF Mädchenrechnung“ pointiert auf die Spitze treibt. Ein Gespräch über Mütter, die sich zwischen Kindern und Fuckability-Zwang aufreiben
Vitesse Schleinig: Liebe Katja, beim Lesen deines Buchs schwankte ich zwischen Schmunzeln und Kopfschütteln. Was war der Anlass, dass du dich dem Thema MILF (Mom I’d Like to Fuck) näher angenommen hast?
Katja Grach: Auf der einen Seite ist mir das einfach so passiert. Ich bin angesprochen worden, ob ich nicht ein Buch schreiben will und es wurde lange gebrainstormed. Da ich selbst Mutter bin und auch ein ganz normales Arbeitsleben habe, war die Frage, wie und wann ich jetzt auch noch fürs Buch Zeit finden soll. Auf der anderen Seite hatte ich mich schon wissenschaftlich mit dem Thema Fuckability beschäftigt. Und da war sozusagen die MILF die Schnittmenge aus dem, was mir ohnehin begegnet und dem, was ich schon auf Papier hatte.
Du schreibst, dass viele die Bezeichnung MILF als Kompliment ansehen. Was spricht denn deiner Meinung nach dagegen, sich als Mutter auch sexy zu fühlen?
Es spricht überhaupt nichts dagegen, sich selbst sexy zu fühlen. Aber das ist ja der Unterschied zum Begriff MILF. Der spricht ja nicht über einen selbst, sondern über andere. Das ist eine Fremdzuschreibung. Wir brauchen aber nicht für andere sexy zu sein und dabei gewisse Standards erfüllen, sondern in erster Linie wärs schön, wenn wir uns selbst so feiern können wie wir sind. Dafür brauchen wir aber keinen extra MILF-Stempel.
In den 90ern erhielt Feminismus einen poppigen Anstrich: Mit Bands wie den Spice Girls feierten sich starke, sexy Frauen. Und heute? Wer kann im 21. Jahrhundert Vorbild für Frauen und Mütter sein?
Mit Vorbildern in den Medien ist es immer ein bisschen schwierig, weil sie entweder ein Ideal bedienen oder eine absolute Nische. Und alles was uns über sie gezeigt wird, ist wohl ausgesucht und inszeniert. Authentizität ist niemals Hochglanz, sie ist lebendig, komplex und unvorhersehbar. Vorbilder, die das verkörpern, finden wir unter unseren Freundinnen, Nachbarinnen, Verwandten, Menschen auf der Straße – überall. Wir brauchen nicht ein einziges leuchtendes strahlendes Vorbild.
Wir brauchen die Vielfalt der Menschen im Blick, die uns wieder ein bisschen auf den Boden der Realität zurückholen und zeigen, dass wir nichts müssen, weil alles möglich ist, und dass wir absolut in Ordnung sind, wie wir sind. Starke, sexy Frauen mit einer Wahnsinnsausstrahlung. Das schafft man nicht durch Selbstoptimierung. Sie entwickeln sich automatisch, wenn sie ganz sie selbst und lebendig sein können mit all ihren Höhen und Tiefen, ihren Grenzen und ihrer Lust.
Auf Instagram erkennt man eine Gegenbewegung: Mütter zeigen auch unperfekte Fotos: chaotische Kinderzimmer, Augenringe, Kaiserschnitt-Narben und Kilos, die von der Schwangerschaft blieben. Sind wir nicht doch auf einem guten Weg zu mehr Ehrlichkeit?
Jein. Ich finde gut, wenn möglichst viel Unterschiedliches sichtbar ist. Aber Instagram ist halt auch eine bewusste Entscheidung mit jedem Foto. Wir kuratieren eine Ausstellung von Bildern, die eine bestimmte Aussage über uns haben soll.