Dabei war sie nie ernsthaft krank, geschweige denn, dass es oft notwendig war, zum Kinderarzt zu fahren. Standarduntersuchungen, Standardimpfungen, fast keine Standarderkältungskrankheiten. Der Kinderarzt ist ein wirklich netter Mann mit viel Einfühlungsvermögen, einer sanften Stimme und viel Erfahrung. Ohnehin kennt sie nur ihr wohl gesonnene Leute aus dieser Berufssparte, ihr Vater, ihr Großvater, ihre Großmutter: alles Ärzte. Darüber hinaus hätte sie auch ihrem Bruder nacheifern können, der vollkommen stoisch diese Arztbesuche über sich ergehen ließ und gelassen mit seiner Eisenbahn weiterspielte, sobald sich die Medizinfachperson einen kurzen Moment von ihm abwendete, um etwas zu notieren. Also an guten Vorbildern kann es nicht gelegen haben.
Immer Angst vor dem Kinderarzt
Sie können mir glauben, wir haben alles, wirklich alles versucht, um ihr diese Gelegenheiten schmackhaft, erträglich und weniger angsteinflößend zu gestalten. Auch ein Wechsel des Kinderarztes wurde in Erwägung gezogen und versucht. Sie muss ja nicht nett finden, wen wir nett finden. Aber die gleiche Nummer. Ansonsten eben Beruhigung, Ablenkung, Belohnung, das ganze Programm. Auch die zugegeben etwas unelegante „Wenn-Du-nicht-dann-darfst-Du-nicht“-Platte wurde in unserer Verzweiflung manchmal aufgelegt. Dennoch. Es war nichts zu machen, das Kind heulte weiterhin.
Die Erlösung brachte erst das, was eigentlich ein guter Grund hätte sein können, um wirklich ernsthaft und unwiderruflich die Visite beim Doc mit Angst zu besetzen. Eine regelrechte Spritzentortur. In Vorbereitung einer längeren Reise in die Tropen hat die gern auf alles vorbereitete Mutter festgelegt: Alle werden gegen alles geimpft. Nicht um die Kinder zu quälen, sondern aus Furcht, sie könnten schrecklichen Tropenkrankheiten erliegen (man soll sich also nicht wundern, wenn die Kinder ängstlich sind, richtig?!). Nicht im Traum wäre mir eingefallen, dass es eine geeignete Therapie gegen die Arztangst sein könnte. Ich hatte eher Bedenken, dass es sie verstärken würde. Es sollte anders kommen.
So sind wir also einige Wochen lang regelmäßig zum Impfen in der Praxis aufgelaufen. Jedes Mal der gleiche Ablauf: Kindern erklären, warum sie heute eine Spritze bekommen, Weinen, Fahrt in die Praxis, Weinen, Spritze, Geschrei.
Aber, oh Wunder, mit jedem Mal wurde es etwas besser. Dabei hätte unsere Tochter nun wirklich einen guten Grund gehabt, Angst zu haben, denn Spritzen tun immerhin weh. Und das wusste sie.
Vor der letzten Impfung dann aber folgende Sinneswandlung: Unsere Tochter hebt auf die Ankündigung der Spritze lässig die Schultern und sagt, sie würde dann aber im nächsten Jahr lieber wieder an die Ostsee fahren wollen, da brauche man keine Spritze vorher. Lässig, oder?
Damit war das Thema durch. Seitdem spaziert sie fröhlich in die Arztpraxis.
Nun will ich den angestrengten Eltern ängstlicher Kinder nicht zu dieser doch recht derben Methode raten. Bei uns war es ein Zufallsprodukt, schöner Nebeneffekt und alles andere als geplant. Und vielleicht war auch alles eine Frage der Zeit und es wäre sowieso so gekommen. Wer weiß das schon.
Dennoch lässt sich aus diesem Beispiel einiges ableiten und es gibt Möglichkeiten, Kindern die Angst vor dem Kinderarzt zu nehmen und selbst dabei die Nerven zu behalten: