Frauen, die keine Kinder wollen, sind herzlos? Unsinn, findet Dr. Verena Brunschweiger. Kinderfrei leben zu wollen ist für die Autorin eine feministische Entscheidung und kinderfreie Frauen seien mutige Vorreiterinnen einer Bewegung, der es an Zuspruch fehle. Ein Buchauszug
„Kulturell wurden wir über Jahre hinweg so konditioniert, dass wir die Fortpflanzung als etwas so Positives sehen (sollen), dass Kritik weder notwendig noch legitim ist. Wer sich so etwas traut, rüttelt doch am heiligen Fundament unserer Weltgesellschaft, oder?
Die beste Illustration dafür: Wenn eine kinderfreie Person sagt, sie möchte keine Kinder, kommt unweigerlich ein überraschtes »Was!? Warum denn nicht?!« Als wäre man irgendwie aus der Art gefallen. Verkündet man hingegen, schwanger zu sein, folgt prompt ein Regen von Glückwünschen. Doch was ist beglückwünschenswert, wenn man »schafft«, was jedes Tier seit Menschengedenken schafft? Warum ist gerade dieser simple Aspekt der Biologie so anfällig für die Verherrlichung? Schließlich ist man ja nicht selbst Ingenieurin der Prozesse, die das »Wunder des Lebens« hervorbringen. Entsteht der Zuspruch, weil man dem Imperativ einer patriarchalen Kultur folgt und brav die traditionellste Rolle überhaupt annimmt? Oder wie David Benatar formuliert hat: »Creating new people, by having babies, is so much a part of human life that it is rarely thought even to require a justification.« (3) Jedoch: »One can never have a child for that child’s sake. That much should be apparent to everybody, even those who reject the stronger view for which I argue in this book – that not only does one not benefit people by bringing them into existence, but one always harms them.« (4)
In Deutschland werden Ansätze wie der von Benatar so gut wie nicht rezipiert, obwohl ihre Impulse eigentlich dringend notwendig wären. So beschreibt er beispielsweise den Fortpflanzungstrieb als extrem primitiv, was es ihm erlaubt, die rational bedingte Nicht-Reproduktion, also die Entscheidung der Kinderfreien für ihren Lebensstil, als jüngere und überlegenere Evolutionsstufe zu deklarieren. Er erkennt auch den beachtlichen sozialen und Gruppendruck, der auf jungen Paaren lastet – vor allem in unseren Gesellschaften, die stark pronatalistisch geprägt sind. Benatar meint, dass es eine moralische Verpflichtung gebe, sich nicht zu reproduzieren. Er selbst gibt allerdings zu, dass dies der Intuition vieler Menschen zuwiderläuft, dass manche deswegen sogar mit Aggression reagieren. Kaum hängt man in der Arbeit den Spruch »Save the earth, don’t give birth« an seinen Spind, wird er von überempfindlichen Elternkollegen einfach weggerissen. Obwohl Katzenvideos höchste Klickraten erzielen und Menschen mit großer Regelmäßigkeit zu Tränen rühren, konnte in dem beschriebenen Fall auch der Kreis wundervoller Tiere, der auf dem Spruchband abgebildet war, Schlimmeres offensichtlich nicht verhindern. Wenn man bedenkt, welcher starken Provokationen es im öffentlichen Raum gewöhnlich bedarf, um normale Leute dahin zu bringen, Plakate abzureißen, ist diese Episode sicher mehr als eine Anekdote.