Während man bei einem normalen Geburtsverlauf dem Kind gemeinsam entgegen presst und atmet, ist der Kaiserschnitt eine rein medizinische Angelegenheit, der die beiden werdenden Eltern hinter einem Tuch beiwohnen dürfen. Die Belastung der Eltern liegt dabei vor allem in der Passivität, für den Geburtshelfer in der körperlichen Arbeit. Es ist keine feine Präzisionsarbeit, sondern eher grobes Rumgedrücke und Gezerre, von dem man jedoch nichts sieht. Und plötzlich ist das Kind da. Auch die Geschwindigkeit einer Schnittentbindung kann frisch gebackene Eltern überfordern.
Moderne Geburtshilfe setzt auf die Stärkung „alter“ Kernkompetenzen
Alles in allem lassen sich die Zunahmen der Kaiserschnittraten nicht allein mit einem faktischen Anstieg medizinischer Indikationen oder wirtschaftlichen Überlegungen erklären. Schon gar nicht, wenn man selbst innerhalb verschiedener Regionen Deutschlands oder in einer Stadt wie Hamburg zwischen benachbarten Geburtshäusern massive Unterschiede in der Anzahl durchgeführter Kaiserschnitte beobachten kann. (9) Hier fallen offenbar die Bewertungen der gleichen Sache, also wann eine Sectio notwendig ist, unterschiedlich aus. Das Problem scheint zunehmend zu sein, dass logischerweise mit abnehmender Zahl spontaner Geburten auch die Kompetenzen in diesem Bereich verschwinden. Kaum noch einer traut sich an eine äußere Wendung bei Beckenendlage des Fetus oder auch die Assistenz bei der vaginalen Geburt aus dieser heraus zu. Ich selbst war bei der Geburt unseres ersten Sohnes davon betroffen und gerade mal in einer Klinik wurde mir angeboten, meinem Wunsch nach einer Spontangeburt nachzukommen. Alle anderen Geburtshäuser winkten dankend ab und präsentierten mir einen Termin für die Sectio.
Die Chefärztin der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der Helios Mariahilf Klinik Hamburg stellt sich selbst und ihren Kollegen die Frage, ob Ärzte „noch bereit sind, vaginale Geburten zu ermöglichen, und … noch über die praktischen Fähigkeiten verfügen, auch Geburten, bei denen (ärztliche) Hilfe nötig ist, sicher und gut zu managen.“ (10) Moderne Geburtshilfe sieht ihrer Meinung vor allem die Ausbildung von Spezialkompetenzen in spezialisierten Fachbereichen vor, sowie das Trainieren und auch Lehren spezieller Techniken (z.B. äußere Wendung des Fetus bei Beckenendlage oder Geburt aus dieser, verschiedene den Geburtsverlauf beeinflussende Gebärhaltungen usw.). Um Fähigkeiten weitergeben zu können, müssen kompetente Lehrer ständig präsent sein. Ebenso gehört eine bessere Bewertung der vaginalen Geburt und die Ermutigung der Schwangeren zu dieser dazu. Das großzügige Anbieten von Sectioterminen wäre dafür das falsche Signal und sollte auf die wenigen notwendigen Fälle beschränkt sein.
Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus bin ich dankbar, dass in deutschen Kliniken heutzutage eine Schnittentbindung sofort und schnell durchgeführt werden kann, denn ich weiß nicht, wie es für mich und meinen Sohn nach erfolglosem äußeren Wendungsversuch, medikamentöser Geburtseinleitung, 20 Stunden Wehen und Versuch der vaginalen Geburt aus Beckenendlage ohne den letzten Endes erlösenden Kaiserschnitt ausgegangen wäre. Dennoch möchte ich nicht das unbeschreibliche und wunderbare Gefühl bei der Spontangeburt unseres zweiten Kindes missen, das natürliche und schmerzhafte Ankommen meiner Tochter und das Gefühl, es mit ihr und meinem Mann gemeinsam geschafft zu haben und mich sofort um sie kümmern zu können. Eine Geburt ist in jedem Fall eine existenzielle und große Sache.
Es gibt für beide Methoden gute Gründe, persönliche Erfahrungen, Ängste und Haltungen. Die werdende Mutter kann aber nur eine auch im Nachhinein sich richtig anfühlende Entscheidung treffen, wenn sie möglichst offen und wertfrei beraten wird. Gerade Letzteres scheint nicht immer der Fall zu sein.
(2) weitere absolute Sectioindikationen: vorzeitige Plazentaablösung, (drohende) Uterusruptur, fetale Azidose, Nabelschnurvorfall, maternale Eklampsie, absolutes Missverhältnis zwischen maternalem Becken und kindlichen Kopf. In: Hamburger Ärzteblatt 10/18: Das Für und Wider von Kaiserschnittentbindungen. S. 13
(3) ebd.
(4) weitere relative Sectioindikationen: pathologisches CTG, sehr großes Gewicht des Kindes (>4.500 g), vorangegangener Kaiserschnitt, relatives Missverhältnis zwischen mütterlichem Becken und Kopf des Kindes und schließlich auch Bedenken der werdenden Mutter. ebd.
(7) Hamburger Ärzteblatt 10/18: Das Für und Wider von Kaiserschnittentbindungen. S. 15
(9) Hamburger Ärzteblatt 10/18: Das Für und Wider von Kaiserschnittentbindungen. S. 16
(10) ebd. 16