In den meisten Fällen muss hingegen abgewogen werden, was in der konkreten Situation für Mutter und Kind das Beste ist. Zu diesen weichen Indikationen zählen beispielsweise Mehrlingsgeburten oder eine fetale Beckenendlage (4).
Wie die Entscheidung bei diesen relativen Indikationen dann letztlich ausfällt, hängt somit nicht nur von streng medizinischen Faktoren ab, sondern ist das Ergebnis eines Abwägungsprozesses aller Beteiligten, also Ärzten, Hebammen, der Schwangeren und schließlich auch der Familie und der Krankenhausorganisation. Bei keinem anderen chirurgischen Eingriff, werden in diesem Maße medizinische, psychosoziale, weltanschauliche, organisatorische, ökonomische und rechtliche Überlegungen in den Entscheidungsprozess eingebracht.
Warum immer mehr Babys per Kaiserschnitt zur Welt kommen
Gerade diese Vielfalt der Erwägungen erschwert die Diskussion und scheint in steigender Anzahl dazu zu führen, dass der scheinbar sicherste und effizienteste Weg gewählt wird. Weltweit an der Spitze stehen die Sectioraten lateinamerikanischer und einiger karibischer Länder (z.B. Dominikanische Republik 58,1 %), aber auch die der Türkei mit 51,1 %. (3) In Privat- und Belegkliniken brasilianischer Großstädte liegen die Kaiserschnittraten bis zu 6 Mal über dem Landesdurchschnitt. (5) Der Kaiserschnitt als Statussymbol für Gutsituierte macht einmal mehr deutlich, dass nicht immer bessere und vor allem adäquate Entscheidungen getroffen werden, nur weil materielle Ressourcen diese ermöglichen. (6)
Ein Kaiserschnitt gilt auch sicherer als die vaginale Geburt. Sicherer für wen und in Bezug auf was, lässt sich hier fragen? In Bezug auf die allgemeinen Operationsrisiken (Infektionen, Wundheilungsstörungen, Blutverlust, Probleme bei der Anästhesie) leben wir in einem Land, in dem dieser Eingriff sicher durchgeführt werden kann. Derartige operative Risiken gibt es bei der vaginalen Geburt jedoch nicht.
So eine Kaiserschnitt-OP ist eine relativ schnelle und in der Regel, dank guter Anästhesieverfahren, schmerzfreie Angelegenheit. Außerdem ist sie sicher planbar, was sowohl für die werdenden Eltern als auch für den Krankenhausapparat eine sehr gute Sache ist. Denn eine Geburt ist ein sehr personalintensives Unterfangen, sie zieht sich oft über mehrere Stunden, die die Anwesenheit von geschultem Personal zu jeder Tages- und Nachtzeit notwendig machen. Eine Sectio lässt sich in der Kernarbeitszeit personalschonend organisieren und die Klinik kann bei geringeren Kosten wesentlich mehr für diesen medizinischen Eingriff abrechnen.
Für den Geburtshelfer ist der Kaiserschnitt sicherer, weil er nicht fürchten muss, für eine zu spät oder unterlassene Schnittentbindung angeklagt zu werden. Denn umgekehrt wurden offenbar noch keine Klagen wegen physischer oder psychischer Folgen eines Kaiserschnittes eingereicht (7), was interessant ist, werden doch die Folgen dieses Eingriffs oft ebenso traumatisch und belastend erlebt. Hier scheint es gesellschaftlich akzeptierte Verzerrungen der Risikoabwägungen von vermeintlich „guten“ und „weniger guten“ Geburtsmethoden zu geben. Die Geburtsmedizin hat die höchste Klagerate (unter allen Medizinsparten) und immer geht es um riesige Entschädigungssummen und entsprechend hohe Versicherungsprämien für die Geburtshäuser- und helfer.