Jochen König hat zwei Töchter. Die haben drei Mütter. Eine außergewöhnliche Konstellation, die er zum Anlass nimmt, über die Wirklichkeit heutiger Familienmodelle zu schreiben. Ein Interview über das Wohl von Kindern
Nur noch eine Minderheit der deutschen Kinder wächst heute in der traditionellen Familie auf. Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Definition der Familie in den letzten Jahrzehnten verändert?
Das Modell „Mama, Papa, Kind“ hat in den letzten Jahrzehnten deutlich an Bedeutung verloren. Die Zahl der Ein-Eltern-Familien, Patchwork- und Regenbogenfamilien wächst rasant. Familie ist überall da, wo Menschen langfristig angelegte Verantwortung füreinander übernehmen. Und wenn ein Modell, das über einen langen Zeitraum als einzig legitime Variante angesehen wurde, langsam für immer weniger Menschen passt, gehen diese Menschen auf die Suche nach neuen Lösungen, ihr Leben miteinander zu organisieren.
Die Politik richtet sich an ein einziges Modell, das immer mehr an Bedeutung verliert
Sie zeichnen mit vielen Zahlen das Bild einer Gesellschaft, in der die Mehrheit der Kinder in den Metropolen bereits bei alleinerziehenden Eltern oder Co-Eltern aufwächst. Wohin wird sich das entwickeln?
Das Familienbild hat sich in der Vergangenheit immer wieder verändert und wird sich auch in Zukunft immer wieder ändern. Ich wage keine Prognose. Bevor wir uns Gedanken darüber machen, wohin sich das entwickeln wird, können wir uns aber erstmal anschauen, wie die Menschen heute in Familien leben. Die Politik richtet sich noch immer viel zu sehr an ein einziges Modell und der Rest wird kaum wahrgenommen und bei vielen familienpolitischen Entscheidungen einfach übergangen.
Wie würden Sie „Co-Parenting“ erklären? Was sind die Freiheiten, was die Verpflichtungen?
Co-Parenting oder Co-Elternschaft bezeichnet eine gemeinsame Elternschaft ohne Paarbeziehung. Ein gemeinsames Kind erfordert viel Aufmerksamkeit, Engagement und Zeit. Da bleibt die Paarbeziehung der Eltern schnell auf der Strecke. Im Falle einer Trennung müssen sich die Eltern dann auch noch weiter auseinandersetzen und das Leben des Kindes gemeinsam organisieren. Sie können sich nicht einfach mal für ein halbes Jahr aus dem Weg gehen, um den Trennungsschmerz zu überwinden und die Emotionen abkühlen zu lassen. Wer sich von vornherein entscheidet, ohne Paarbeziehung ein Kind zu bekommen, hat diese Probleme nicht. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Aspekte, die ich beispielsweise in meinem Buch ausführlich beschreibe. In meiner Familie gibt es ein Kind mit drei Elternteilen, von denen zwei in einer lesbischen Liebesbeziehung miteinander leben.
Ganz sicher haben Vertreter der klassischen Bindungstheorien Ihnen bereits gesagt, bei Co-Elternschaft könne sich ein Kind keinen Bindungsstil abschauen und würde später Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Liebesbeziehungen haben. Was antworten Sie denen?
Warum kann sich ein Kind von Co-Eltern keinen Bindungsstil abschauen? Nur weil die eigenen Eltern nicht miteinander ins Bett gehen, heißt es noch lange nicht, dass sie deshalb nie eine Liebesbeziehung vorgelebt bekommen. Im Gegenteil: Sowohl die Beziehung der eigenen Eltern untereinander als auch die Liebesbeziehungen der Eltern mit jeweils anderen Personen könnten dauerhafter und stabiler sein. Sie haben nicht die Herausforderung mit der begrenzten Energie, die beispielsweise nach vielen durchwachten Nächten mit Baby zur Verfügung steht, sowohl Elternverantwortung als auch Liebesbeziehung miteinander vereinbaren zu müssen.
In anderen Ländern können mehr als zwei Personen verantwortlich für ein Kind sein
Sie gehen auf die vielen Beschränkungen ein, die der Staat alternativen Familienmodellen auferlegt. Was sollte sich ändern?
Die Familienpolitik ist, wie bereits erwähnt, noch immer in vielen Situationen ausschließlich am „Mama, Papa, Kind“-Modell ausgerichtet. Stattdessen muss der Staat endlich anerkennen, dass die Menschen schon längst in immer vielfältigeren Konstellationen zusammenleben, und einen Modus entwickeln, regelmäßig die unterschiedlichen Lebensmodelle zu erheben, die Bedürfnisse abzufragen und geeignete Maßnahmen zur Unterstützung zu entwickeln.
Wir haben kürzlich das Buch „Papa kann auch stillen“ vorgestellt und Frau Lohaus und Herr Scholz haben uns einige Fragen dazu beantwortet. Wie beurteilen Sie so ein 50/50 Modell?
Ich freue mich immer, wenn Menschen unterschiedliche Konstellationen ausprobieren und nach Wegen suchen, um innerhalb der eigenen Familie gemeinsam glücklich zu werden. Eine gerechtere Aufteilung der familienbezogenen Aufgaben erscheint mir in vielerlei Hinsicht sinnvoll.
Während die Forderung der „Ehe für alle“ zunächst die Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe forderte, ließ die Begrifflichkeit Spekulationen zu, dass bald auch mehr als zwei erwachsene Menschen heiraten dürften. Das betrachten viele als den Untergang der Menschheit. Woher kommt diese Abneigung, die Furcht vor alternativen Modellen? Und würden Sie für Ihre Kinder tatsächlich vor das Verfassungsgericht ziehen?
Auch wir hören hin und wieder abwertende Kommentare. Es ist frustrierend, wenn manche den Wert der eigenen Familienkonstellation aus der Abwertung anderer ziehen. Keine Ehe ist weniger wert, nur weil andere auch heiraten dürfen. Keine „Mama, Papa, Kind“-Familie ist weniger wert, nur weil wir uns für eine andere Form des Zusammenlebens entschieden haben. In anderen Ländern ist es beispielsweise bereits möglich, dass mehr als zwei Personen verantwortlich und rechtlich bindend Eltern für ein Kind sind. Warum sollte das nicht auch hier möglich sein? Ob wir uns irgendwann dazu entscheiden, das für unsere Familie zu erstreiten, hängt davon ab, wie sich unsere Familie, aber auch die Diskussion um Familienmodelle im Allgemeinen in den nächsten Jahren entwickelt. Aktuell hätte eine solche Klage sicherlich wenig Aussicht auf Erfolg.
Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Buch “Mama, Papa, Kind?” von Jochen König.
Jochen König:
Mama, Papa, Kind?
Von Singles, Co-Eltern, und anderen Familien
ISBN 978-3-451-31274-8
Verlag Herder