Ich liebe dich, aber ohne deine Kinder

Doch ich merke, dass ich mit diesem Universum, in dem sich alles derart um Kinder dreht, nichts anfangen kann. Genauer: Ich kann mit Kindern nichts anfangen. Sie sind für mich kein Wunder, ich finde sie langweilig. Das habe ich im Zusammenleben mit den Mädchen von Johannes gemerkt. In den ersten Wochen fand ich es noch süß, wenn sie am Sonntagmorgen zu uns ins Bett kamen, wenn ich ihnen etwas vorgelesen habe, wenn wir gekuschelt haben, wenn wir später mit ihnen gefrühstückt haben, wenn sie mir erzählt haben, was sie gerade bewegt. Vera und Kim vertrauen mir, sie mögen mich.

Johannes ist ganz begeistert, wenn er uns zusammen erlebt. Er hat zwar von Anfang an zu mir gesagt, Du kannst und sollst ihnen die Mutter nicht ersetzen, Sybille, sei einfach du selbst. Ich bin froh, dass du bei mir bist, dass du bei uns bist. Das ist mein schönstes Geschenk im Leben. Doch es ist auch eine Herausforderung für dich, deinen Alltag jetzt mit Kindern zu teilen, wo du nie mit Kindern gelebt hast. Ich bin stolz auf dich. Mute dir nicht zu viel zu. So ist er, mein Johannes. Immer an meiner Seite.

Es ist nicht Eifersucht, die Sybille treibt

Johannes ist in jeder Hinsicht fair und liebevoll. Ich bin auch kein Stück eifersüchtig auf seine Kinder. Ich komme wahrlich nicht zu kurz, das ist nicht das Ding, dass ich zu wenig Liebe und Aufmerksamkeit bekomme, weil die Kinder zu viel Liebe und Aufmerksamkeit beanspruchen. Johannes trägt mich auf Händen. Meine Genervtheit hat nur mit den Kindern zu tun, nicht mit seinen speziell, sondern mit der Art, wie Kinder eben allgemein sind. Wenn ich zum Beispiel gekocht habe und mir richtig Mühe gegeben habe, und die Kinder mögen das Essen nicht, essen nur aus Höflichkeit einen Happen oder lassen es gar stehen, was ja nicht schlimm ist bei Kindern, es gilt jedenfalls nicht als schlimm, dann bin ich schon auf 180. Ich zeige es allerdings nicht. Ich reiße mich zusammen. Ich sage mir, warte ab, Sybille, gib dir Zeit. Du gewöhnst dich bestimmt noch daran, dass du mit Kindern lebst. Es lohnt sich, es lohnt sich für Johannes. Du bist noch nie mit einem Mann so glücklich gewesen, seelisch, geistig, körperlich. Setz das nicht aufs Spiel.“

Mit eigenen Kindern wäre es nicht anders

Eine Zeit lang arbeitet sich Sybille daran ab, ob ihre Gefühllosigkeit gegenüber den Mädchen daran liegt, dass es nicht ihre eigenen sind. Sie geht in sich. Natürlich kann sie sich diese Frage nicht final beantworten, doch sie ist sich fast hundertprozentig sicher, dass es ihr mit eigenem Nachwuchs nicht anders gehen würde. Sie trifft sich mit einer Freundin, die keinen Hehl daraus macht, dass sie eine „Kinderhasserin“ ist, sie lebt mit ihrem Mann allein in größter Eintracht und hat Kinder stets als Störenfriede einer harmonischen Partnerschaft betrachtet. Ohne zu benennen, in welchen Nöten Sybille steckt, fragt diese die Freundin gründlich aus, ob es nie die Sehnsucht nach eigenen Kindern gab, ob sie nie Wehmut verspürt hat, wenn sie besonders niedliche Babys oder Kinder gesehen hat. Die Freundin verneint entschieden. Und Sybille weiß: Das ist wie bei mir, ich kenne diesen Stich im Herzen nicht. Wenn ich Mütter um mich hatte, die mit ihren Kindern glücklich sind, habe ich das schlicht registriert, es hat nichts in mir ausgelöst. Es war mir fremd. Das war immer alles weit weg von mir. Es liegt wirklich nicht an Vera und Kim. Höchstwahrscheinlich könnte ich mit eigenen Kindern auch nichts anfangen, eine Katastrophe wäre das, wenn ich welche bekommen hätte. Als die Freundin Sybille fragt, wie sie sich nun fühlt, wo sie von jetzt auf gleich eine Familie hat, lügt Sybille und beteuert, wie selig sie mit Johannes und seinen Kindern sei.


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