2. Erwartungen mäßigen, etwas über das eigene Kind oder Wichtiges zu erfahren
Es gibt einen weiteren wesentlichen Punkt, den Sie bei dem Besuch des Elternabends beachten sollten, damit er nicht zum Frusterlebnis wird. Ich nenne es Erwartungsmanagement. Gleich die Botschaft vorweg: Sie werden nichts, absolut gar nichts über Ihr eigenes Kind erfahren. Und Sie werden über nichts, absolut gar nichts Wichtiges unterrichtet. Das liegt nicht etwa daran, dass es nichts zu sagen gäbe oder die Erzieher und Erzieherinnen nichts Wichtiges mitzuteilen hätten. Ganz sicher nicht. Es ergibt sich schlicht daraus, dass die verfügbare Zeit mit verschnörkelten Selbstpräsentationsauswüchsen mancher Eltern verplempert wird. Das ist gänzlich unnütz, jedoch sehr unterhaltsam. Wenn überhaupt also, hören Sie etwas über andere Kinder. Und wenn überhaupt, erfahren Sie wie Frau Müller, Frau Meier und Familie Winter den Alltag klimaneutral, nachhaltig, ökologisch, natürlich gesund und vor allem total elegant und effektiv meistern.
Aber der Reihe nach. Eine Motivation für den Besuch des Elternabends könnte sein, dass Sie die Hoffnung hegen, etwas darüber zu erfahren, was ihr Kind den lieben langen Tag in der pädagogischen Einrichtung treibt. Das ist nämlich ansonsten eine Art Black Box. Kind geht morgens vorne rein, verbringt dort in völliger Abgeschirmtheit den Tag und kommt am Nachmittag hinten wieder raus. Erzählt dann – richtig – nichts, um am nächsten Tag wieder hinzutrotten. Das Wenige was Sie, im Allgemeinen aus Ihrer Tochter (ja, das fängt schon früh an mit dem Kommunikationsungleichgewicht) herausbekommen, ist, mit wem sie nicht spielen wollte („obwohl der gefragt hat, Mama“) oder wer nicht mir ihr spielen wollte („obwohl ich gefragt habe, Mama“). Unser Sohn antwortet jeden Tag auf die Frage „Wie war es in der Schule?“ mit einem zufriedenen und einsilbigen „Gut.“, in einer Bestimmtheit, die keine weiteren Fragen erlaubt.
Ablauf eines Elternabends
Wenn Sie der irrigen Idee anheimgefallen sind, der Elternabend könnte nun diese Informationslücke schließen, muss ich Sie leider enttäuschen. Im Großen und Ganzen laufen Elternabende so ab: Wenn die Kitaleitung (häufig in kleineren Einrichtungen) involviert ist, wird sie eindringlich und völlig zu Recht davor warnen, kranke Kinder in die Kita zu bringen. Die Steigerungsstufe der zweimal im Jahr vorgetragenen Ermahnung ist die Androhung der Schließung der Kita (wegen des Dominoeffektes: kranke Kinder, Ansteckung, noch mehr kranke Kinder, Ansteckung, kranke Erzieher). Alle Eltern nicken einsichtig, um am nächsten Tag (was soll man auch machen) ihre erkälteten Kinder (so schlimm ist es ja nicht) in der Kita abzuladen. Die Zurechtweisung an sich ist natürlich sinnvoll und richtig, allein die Redundanz des Vortrags als auch die der Nichtbeachtung entbehrt jedoch nicht einer gewissen Komik.
In der Gruppe Ihres Kindes wird es danach um die Wahl des Elternvertreters gehen. Das nimmt einen ziemlich großen Teil des Programms ein, da zunächst darüber abgestimmt werden muss, wie die Wahl vonstatten gehen soll. Eigentlich geheim und so. Wenn das Thema durch ist und, in aller Regel, DIE Elternvertreterin gefunden wurde (das ist die, die schon in der Schule die lange Stille nicht aushalten konnte, die entsteht, wenn Freiwillige für ein unbeliebtes oder arbeitsreiches Amt gesucht wurden und die sich dann zögerlich meldet („irgendwer muss es ja tun“)).
Reichhaltiges Angebot an skurrilen Vorschlägen
Danach geht es um Themen des Alltags oder der Organisation, die entweder von den Erzieherinnen (z.B. Brotdoseninhalte – Süßigkeiten bitte keine, auch keine Quetschies und Co….. aber ach, die vom Bioladen schon…. gerne natürlich Vollkornbrot, auch wenn es jeden Tag völlig unberührt wieder mit nach Hause kommt) oder von besorgten und engagierten Eltern vorgetragen werden. Standardmäßig gehören Themen dazu, die aus der Gesundheits-, Öko- oder Nachhaltigkeitsecke kommen. So wurde bei uns neulich die Frage aufgeworfen, ob es gut sei, dass die Kinder in der Spielzeit draußen wirklich aus Plastikbechern trinken sollten (und nicht auch aus Gläsern wie drinnen), man wisse ja schließlich „die Kinder sind heute schon voll von Mikroplastik, ich habe darüber gerade eine Studie gelesen“. Man hätte zur Problemlösung einwerfen können, dass man in der halben Stunde draußen eventuell auf eine Flüssigkeitszufuhr verzichten könnte. Da das bei den Miteltern vermutlich bitter aufgestoßen wäre, ließ ich es unerwähnt. Ähnlich motiviert war offenbar der Vorschlag einer Mutter, davon berichtete mir eine Freundin, die dafür plädierte, man möge doch, wie sie es bei dem Frühstücksbrot Ihres Sohnes machen würde, die Brote der Kinder in Stoff einwickeln, dann könnte man ganz auf die Plastikboxen verzichten und man wisse ja, dass die Kinder die Brote oft untereinander tauschen. Das wäre dann ja für alle irgendwie besser. Apropos Vesperdoseninhaltstausch, auch darüber lässt sich vortrefflich diskutieren, denn schließlich würden die Kinder durch diese Tauscherei ja immer auch Keime aus anderen Haushalten in Kontakt kommen (und wer weiß schon so genau, wie andere Familien das mit der Hygiene halten).
Verhältnismäßigkeit, Tonalität und Vertrauen
Über all das lässt sich überaus anhaltend sprechen. Ich will gar nicht behaupten, es seien keine wichtigen Themen. Natürlich sind sie das. Es ist wie immer eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Wie lange wollen wir in großer Runde wirklich über Rahmenbedingungen eines hygienischen Frühstücksbrottausches unter Kindern sprechen? Mal abgesehen davon, dass unsere Kleinen das nicht die Bohne interessieren wird und sie es im Zweifel heimlich machen. Und es ist eine Frage der Tonalität. Besonders schön finde ich, die als harmlos getarnten und total tolerant anmutenden Einleitungssätze für solche Vorschläge. So was wie, man wolle nur mal ein Meinungsbild erfragen, man selbst würde es zwar so machen, aber es bliebe natürlich jedem überlassen, aber man wollte nur zu bedenken geben, dass….es könnte schließlich für alle Kinder nur von Vorteil sein.
Darüber hinaus lässt sich fragen, ob wir unseren pädagogischen Fachkräften in Kita und Schule nicht ein wenig mehr vertrauen können? Müssen wir wirklich alles in Frage stellen und darüber abstimmen, ob jedes Kind seinen festen Stammplatz am Esstisch haben sollte, dieser immer wieder mal rotiert (und nach welchem Verfahren) oder ob sich jedes Kind immer und überall frei entscheiden können sollte, neben wem und wo es sitzen möchte? Oder sollten wir einfach mal darauf vertrauen, dass die Betreuungspersonen unserer Kinder kompetent sind und versuchen, für die Entwicklung unserer Kinder die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen? Also ich bin bereit dazu. Und Sie?
Bilderraten auf viel zu kleinen Stühlen
Wenn nach all den aufgeworfenen und zu diskutierenden Themen noch Zeit für Informationen über Lerninhalte, Alltagsgestaltung oder Einblicke in das Leben der eigenen Kinder bleibt, dann wird dies gern in Form einer Powerpoint-Präsentation dargeboten, die vor allem Fotos von verschiedenen Alltagssituationen zeigt. Das ist im Prinzip gut gedacht und könnte auch ganz schön sein. In der Regel ist jedoch kein Beamer vorhanden oder, noch häufiger, gerade kaputt und man gruppiert sich mit den 20 anderen Eltern, auf viel zu kleinen Stühlchen um einen 13 Zoll-Bildschirm und starrt auf qualitativ fragwürdige Bilder. Die Herausforderung ist es dann, erstens, das Töchterlein oder Söhnchen überhaupt zu identifizieren und zweitens, zu erkennen, was es auf dem Foto gerade macht. Ohnehin scheint das eigene Kind immer unterrepräsentiert oder aber (das gilt nur für wirklich unvorteilhafte Ablichtungen) überrepräsentiert. Das ist die ewige Konstante der elternabendlichen Präsentation. Dies sollte Ihnen aber persönlich nicht zusetzen, denn: Die anderen Eltern empfinden es genauso. Und ganz nebenbei: Auch dieses aneinandergerückte Bilderraten hat etwas Verbindendes.
Beschwichtigend möchte ich hinzufügen, dass Erzieher sich weder darauf spezialisieren sollten, preisverdächtige Portraitaufnahmen zu schießen noch darauf, Präsentationen auszuarbeiten, die auch in der Aufsichtsratssitzung eines DAX-Unternehmens Würdigung fänden. Aber von außen betrachtet, muss unser Treiben doch reichlich bizarr aussehen. Vor allem benimmt man sich letztlich auch so, was spätestens an den ersten juchzenden Ausrufen „Da ist ja Meiner, wie süß!“ erkennbar wird. Ich gehe stark davon aus, dass alle beschriebenen Verhaltensausfälligkeiten vor allem auf das Sitzen auf winzigen Stühlen zurückzuführen sind.