Lesen Sie hier einen Auszug aus „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn – Gelassen durch die Jahre 5 bis 10“ von Danielle Graf und Katja Seide. Wenn Sie (auch) ein Kleinkind haben, empfehlen wir Ihnen außerdem einen Ausschnitt aus „Der entspannte Weg durch Trotzphasen“ von denselben Autorinnen
»Paula: Schule und Eigenverantwortung«
Eines der größten Probleme im Zusammenleben zwischen Eltern und Kind ist die ungünstige Verteilung von Verantwortung. Unserer Beobachtung nach übernehmen wir Eltern diese oft an unnötigen Stellen und geben sie wiederum in Bereichen an unsere Kinder ab, in denen diese aufgrund ihrer entwicklungsbedingten Unreife noch unsere Unterstützung bräuchten. Sobald diese Falschverteilung einmal erkannt und verändert wurde, fallen schlagartig viele Minenfelder weg, die vorher für tägliche Explosionen sorgten.
Jutta, 43, erzählt von ihrer Tochter Paula, 9:
Ich bin seit einiger Zeit genervt von Paula. Sie ist neun Jahre alt, und alles dauert ewig. Ich muss sie wirklich bei jedem einzelnen Schritt antreiben. Das geht schon morgens los. Sie kann
sich nicht entscheiden, was sie frühstücken will. Also entscheide ich irgendwann für sie. Wenn ich sie lasse, sitzt sie verträumt eine halbe Stunde vor ihrem Müsli und nimmt nicht einen Bissen
zu sich! Erst wenn ich sie immer wieder darauf hinweise, doch jetzt mal einen Löffel zu essen, kommt Leben in sie. Allerdings ist sie von dieser ständigen Gängelei sehr genervt und mault
mich dann an. Das ist auch nachmittags bei den Hausaufgaben so. Es ist eigentlich ein Wunder, dass wir uns dabei noch nicht gegenseitig erwürgt haben. Bis ich sie zum Anfangen überreden kann, dauert es oft zwei Stunden. Und dann muss sie sich erstmal 15 Minuten darüber beschweren, dass sie überhaupt Hausaufgaben hat und wie doof diese sind. Jede Rechenaufgabe wird
persönlich verflucht und oft mit einer Sauklaue hingeschmiert. Ich muss außerdem praktisch neben ihr sitzen bleiben, sonst fängt sie an zu malen oder zu spielen. Es fällt ihr gar nicht mal übermäßig schwer, die Aufgaben zu erledigen, aber sie will einfach nicht. Sämtliche Verabredungen liegen auf Eis, weil Paula oft erst gegen 18 Uhr fertig wird. Ich kann sie locken mit Ausflügen aller Art und Belohnungen für schnelles Erledigen und so weiter. Das prallt alles an ihr ab. Sie wird sogar sauer auf mich, wenn ich ihr sage, sie kann ihre Freundin nicht treffen, weil die Hausaufgaben noch nicht fertig sind. Dann wird sie verletzend, respektlos und aggressiv mir gegenüber. Denn natürlich bin ich schuld. Ich bin die böse Mama, die ihr das verbietet und überhaupt die schlechteste Mutter der Welt. Dass ihre Langsamkeit das Problem ist, hat sie anscheinend noch nicht kapiert.
Als Jutta zu uns in die Beratung kam, beklagte sie sich vor allem darüber, sich so sehr vereinnahmt zu fühlen. Neben der Verantwortung für ihren Job und den Haushalt habe sie so viel Arbeit mit ihrer Tochter, dass sie kaum Zeit für sich selbst fände. Ständig müsse sie Paula quasi überwachen, damit das Kind überhaupt etwas schaffen würde. Jutta verstand gut, warum ihre Tochter so allergisch auf die ständigen Gängeleien reagierte, aber sie sah auch keinen Ausweg aus dem Dilemma, da sie sich sicher war, das Kind würde in der Schule dramatisch absacken, wenn sie sie nicht zu den Hausaufgaben zwingen würde, oder aber verhungern, wenn sie sie nicht ans Essen erinnern würde. Dennoch wusste die Mutter, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie sagte, sie hätte eigentlich schon lange die Grenze ihrer Kraft überschritten und liefe permanent im Modus »Überforderung«. Deshalb sei sie auch nicht immer so entspannt und liebevoll, wie sie es eigentlich sein wolle.