Verständnis habe ich auch für den Autoren des Artikels aus der Zeit, der meint, dass gerade das „späte Eltern“-teil als „mehr als dreißig Jahre im Singledasein als Großstadtbewohner ausgehärtetes Individuum, seine lieb gewonnenen Freizeitaktivitäten nicht aufgeben will, bloß weil es jetzt nebenbei zu einem Erziehungsberechtigten geworden ist“ (3). Da kann einem schon die Hutschnur hochgehen, wenn diese Zurückeroberung der eigenen Entfaltungsfreiheit zu Lasten und vor allem Nerven aller anderen sich in der Nähe befindlichen Individuen geht. Hat man das früher anders gelöst? Ja, man ist einfach zuhause geblieben. So hört man es jedenfalls von unserer Müttergeneration.
Sperrzeiten für Kinder wünschen sich im Übrigen sowohl Kinderlose als auch Eltern (2). Wenn auch nicht in gleichem Maße. An erster Stelle werden da Restaurants angeführt, gefolgt von Kinos, Bibliotheken, Museen und Hotels.
Es fühlt sich nicht gut an, eine Belästigung zu sein
Es ist ja so, dass – wenn man nicht vollständig abgestumpft und losgelöst von der restlichen Nicht-gerade-in Elternschaft-aufgehenden-Welt ist – es einem nicht nur peinlich ist, von anderen Leuten augenrollend angeschaut zu werden, wenn die Abkömmlinge Aufsehen in der Öffentlichkeit erregen, sondern vor allem ist das Gefühl, eine wandelnde Belästigung zu sein, kein besonders angenehmes. Und es ist ja noch nicht einmal so, dass man sich dabei besonders gut entspannen kann, wenn man das Kind für das kurze Luftholen aus den Augen lässt. Eben wohlwissend um die Folgen. Also die erhoffte „kurze Auszeit“ wird nicht einmal erreicht. Dann kann man es eigentlich auch ganz lassen. Oder: besser andere Räume aufsuchen. Eben die, wo Kinder erwünscht sind.
Aus diesem Blickwinkel könnte man sich eigentlich freuen über die Einrichtung von kinderfreien Zonen oder Sperrzeiten für Kinder, wenn man sich dann, in den eben nicht als solche deklarierten, ungeniert und unbeanstandet mit den Kindern bewegen kann. Einfach auch, weil jedermanns Bedürfnisse in dafür geeigneten Zonen berücksichtigt wären.
Ein Wermutstropfen bleibt bei dieser „Zonenhandhabung“: Es ist schon sehr artifiziell und nicht recht mit dem Gedanken gelebter gesellschaftlicher Inklusion aller Menschen vereinbar. Die spezifischen Zielgruppen für solche Zonen wären ja nicht nur auf Kinder beschränkt denkbar. Eigentlich sollte das gesellschaftliche Leben barrierefrei gelebt werden und natürlich zusammenwachsen. Ohne künstlich errichtete Zonen oder Grenzen. Aber vielleicht sind wir einfach auch noch nicht so weit. Also gesellschaftsmäßig. Und in unseren Köpfen.
Machen es andere besser?
Sind wir Deutschen deshalb besonders kinderfeindlich? Machen es andere Länder besser? Nö. Jedenfalls nicht alle und nicht unbedingt die, die wir gern in diesem Zusammenhang anführen. Z.B. Italien.
Wer da ins Schwärmen über Kindervernarrtheit kommt, dem sei geraten, einmal mit einer Kinderkarre und einem tobenden Kleinkind nach Rom zu fahren. Die einen halben Meter breiten abschüssigen und mit alten Steinen gepflasterten Fußwege und die völlige Abwesenheit von Kinderspielplätzen macht den Ausflug mit Kindern alles andere als erfreulich. Da hilft die liebevoll säuselnde und mit den Kindern rumalbernde Bedienung in der Pizzeria auch nicht weiter.
(2) https://yougov.de/news/2018/08/30/kindersperrstunde-die-eltern-sind-das-grosste-prob/
(3) Joachim Blessing, Die Zeit, 17.1.2019, S. 56