Wir wollten doch jede Sekunde auskosten

Er wollte nicht das Leben draußen, ihm genügte die Zweisamkeit zuhause. Unsere anonyme Autorin konnte sich damit nicht begnügen, sie konnte nicht eingesperrt bleiben. Als sie ging, öffnete sich für sie eine ganze Welt – aber er blieb zurück

Ich war gerade umgezogen und neu in der Gegend, ich fühlte mich ziemlich allein. An dem Abend, als wir uns kennenlernten, war ich sehr aufgeregt. Es war Valentinstag. Du hast in deiner Lederjacke so gut ausgesehen, ich habe mich direkt wohl bei dir gefühlt. Du warst so riesig und hast mir von Anfang an Sicherheit und Halt gegeben.

Es war die große, erste Liebe. Mit allem drum und dran. Das erste Mal Zärtlichkeiten austauschen, Wochenenden zusammen verbringen, verreisen und nach anderthalb Jahren die erste gemeinsame Wohnung. Wir haben uns geliebt. Wir lagen auf dem Bett, als du mir „Ich liebe dich“ ins Ohr geflüstert hast und mich damit zum glücklichsten Menschen der Welt machtest. Alle ersten Male in meinem Leben haben dir gehört und ich habe alle genossen. Ich war jung und wollte jede Sekunde auskosten. Wir haben uns eine ganze Weile treiben lassen.

Doch dann hast du von Heirat im kommenden Jahr und Kindern gesprochen. Ich war 19 Jahre jung. Ich bekam Angst. Du wolltest nur zu Hause sitzen, am besten mit mir zusammen. Die Welt da draußen war so bunt, aufregend und laut, doch du wolltest davon nichts wissen. Ich habe dir für dein Glück gereicht. Mir war das zu wenig. Ich brauchte Luft zum Atmen. Deswegen bin ich gegangen, habe auf meinem Weg mein neues Stück Glück gesucht.

Die letzte Begegnung werde ich nie vergessen. Ich habe dich besucht, wollte wissen, wie es dir geht. Die Wohnung roch anders als zuvor, du warst anders als zuvor. Dein Blick noch immer voller Liebe. Es tat so weh. Du hast gesagt, du wirst mich nie vergessen, weißt nicht, wie es weitergehen soll. Und trotzdem wusste ich, dass es die richtige Entscheidung für mich war. Ich hoffte, du würdest Halt bei deiner Familie, bei deinen Freunden finden.

Zwei Jahre haben wir nichts voneinander gehört. Zwei Jahre wusste ich nichts von dir. Dann kam eine Rechnung von deiner Wohnung. Ich habe mich an deine Eltern gewandt, denn ich wusste nicht, wo du warst. Sie sagten, sie hätten keinen Kontakt zu dir. Ihrem einzigen Kind. Du hättest kurz nach unserer letzten Begegnung deinen Job verloren, deine Wohnung, alles. Wegen mir, sagten sie. Ich war sprachlos, habe die Rechnung bezahlt, doch ich ahnte nicht, wie viel Raum du kurze Zeit später in meinen Gedanken einnehmen würdest.


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