Unser anonymer Leser wird immer noch von Erinnerungen an seine verflossene große Liebe heimgesucht und fragt sich, ob es möglich ist, der Vergangenheit den Stachel zu ziehen
Ich sehe uns wandern. Das war irgendwo am Meer, im Nordosten. Bald jährt sich unser kleiner Ausflug. Im Mai war es, der Raps blühte so schön gelb, alles leuchtete. Wir hatten beide Rücksäcke auf, unsere Regenjacken offen, denn es war ein freundlicher Tag. In der Ferne sahen wir Schiffe und Boote und du hast versucht, mir den Unterschied zwischen beiden begreiflich zu machen.
Wir pflückten einen Strauß Raps, banden ihn mit einem Aufladekabel zusammen. Was brauchten wir solch ein Kabel, hier, an einem Ort ohne Strom, an dem es nur uns beide gab, die Felder, das weite Meer und darüber diesen gigantischen Himmel?
Warum bleibt nach einem Abschied immer so viel zurück? Diese Erinnerung an einen unbeschwerten Ausflug zum Beispiel. Und tausend andere. Ein Nachhall deiner Stimme, ein Abbild deiner geschwungenen Lippen, tief vergraben in meinem Kopf und Herzen. Es bleibt mir so vieles von dir zurück, obwohl wir nicht mehr sind. Du verblasst, mit jedem Tag etwas mehr. Aber manches Zurückgebliebene von dir strahlt immer noch grell wie damals die Rapsfelder.
Ich glaube fest daran, dass wir Menschen uns vieles vormachen, dass wir Tricks entwickelt haben, um bestimmte Dinge nicht zu sehen, die offenkundig sind. Um Dinge nicht zu sehen, weil sie sonst schmerzen würden. Wir sind Meister im Selbstschutz. Auch ich habe an unserem letzten Tag bis zur letzten Stunde nichts gesehen. Und vorher gab es nur so ein merkwürdiges, kaum greifbares Gefühl, das mir sagte, dass etwas bei uns in Schieflage geraten war. Aber ein Segelboot im Orkan, das zu kentern droht, kann man mit der richtigen Technik wieder aufrichten. Oder man holt die Segel ein und wartet einfach ab.
Wahrscheinlich dachte ich das für mich: Das ist nur ein Sturm, ein Orkan. Der zieht vorüber. Abwarten, Teetrinken, notfalls mit einem Schuss Rum. Es wird schon wieder. Aber es wurde nicht mehr.