Für unsere anonyme beziehungsweise-Leserin war es normal, mit ihren Gefühlen und Gedanken allein zu sein. Bis sie den Mann kennenlernte, der alles änderte und sie nun ihre ganze Welt in Frage stellte. Diese Liebesgeschichte beweist, dass es Veränderung braucht, damit etwas besser werden kann
Jeder, der mich kennt weiß, dass ich über alles und jeden immer sehr viel nachdenke. Dass ich mir schnell Sorgen mache, vieles infrage stelle und immer bedacht darauf bin, alles richtig zu machen. Ich versuche immer, allen Anforderungen und jedem gerecht zu werden und bin auch meistens ein ziemlicher Moralapostel.
Dementsprechend schnell war ich ziemlich aufgewühlt, als du plötzlich in mein Leben kamst. Na gut, in meinem Leben warst du schon etwas länger, aber nie in dieser Hinsicht. Immer nur als Bekannter, den ich mal sah, mit dem ich mal sprach und mit dem ich eben manchmal schrieb. Wir hatten nie wirklich viel miteinander zu tun, immer nur ein bisschen, weswegen mich die ganze Geschichte immer noch sehr beeindruckt.
Ich dachte immer, dass meine Beziehung alle Höhen und Tiefen übersteht. Dass ich in meinem Partner einen Menschen gefunden hatte, den ich wirklich liebe, der mich wirklich liebt und das über fast 400 Kilometer Entfernung. Aber die Entfernung hat nichts zu bedeuten, wenn man sich wirklich liebt. Es war normal für mich, mit meinen Gefühlen und Emotionen „allein“ zu sein. Sie mitzuteilen und darauf nichts weiter als ein „Das ist schön“, zurückzubekommen. Ich dachte, es wäre normal, immer hinten angestellt zu werden. Hinter Arbeit, Eltern, Großeltern und Hobbies. Ich dachte, es wäre normal, sich irgendwie Liebe und Zuneigung verdienen zu müssen. Doch dass diese Beziehung dann plötzlich so unwichtig, voller Fehler und mir selber fremd wurde, hätte ich niemals gedacht.
Wo und wann fängt fremdgehen an? Mit dieser Frage habe ich mich in deiner Gegenwart sehr oft beschäftigt. Eigentlich ist es ja eine Definitionssache. Ist es normal, dass ich andere Männer neben dem eigenen Freund attraktiv und anziehend finde? Ist es normal, dass ich manchmal richtiges Herzklopfen und Hitzewallungen bekomme, wenn ich einen anderen Mann ansehe und mit ihm in einem Raum bin?
Genau so ging es mir bei dir. Ich habe dich angesehen und in mir wurde alles anders. Ich war nervös, aufgeregt und konnte meinen Blick irgendwie nie richtig von dir lassen. Lange habe ich mir eingeredet, dass das nur eine Phase ist, in der ich das, was mir in meiner Beziehung fehlt, auf dich projiziere. Doch nach monatelangem Warten wurde es nicht besser. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass zwischen uns etwas in der Luft lag. Dass es eine Spannung und ein Knistern zwischen uns gab. Dass auch du mich manchmal angesehen hast und das mit einem Blick, mit dem mich noch niemand angesehen hat. Wir sprachen oft über das, was da auf eine ganz komische Art und Weise zwischen uns war, doch eingestehen wollten – oder konnten – wir es uns nicht.