Ich kannte dieses Gefühl vorher nicht. Ich habe mich vorher nie zu Frauen hingezogen gefühlt. Irgendwann in der Schulzeit habe ich mal mit einer Freundin geknutscht, aus Neugier, weil ich schon erste Erfahrungen mit Jungen gesammelt hatte und wissen wollte, ob es mit einem Mädel nicht vielleicht viel besser ist (was es auch war). Aber das hier war nicht das Gleiche. Ich wollte wirklich nicht, dass sie geht. Ich wollte nicht einfach nur mit ihr reden. Ich wollte wissen, wie sich das anfühlt, Wärme mit ihr zu teilen. Aber ich traute mich nicht, etwas zu sagen. Ich schämte mich. Ich war völlig verwirrt, weil ich das von mir selbst nicht kannte. Es war keine Neugier – ich wollte genau sie.
Es wurde immer später. Meine Mutter war bestimmt schon aufgestanden und widmete sich ihren Vorbereitungen. Und ihre Tochter drehte innerlich fast durch, weil sie sich in einer Situation wiederfand, die sie völlig überforderte. Irgendwann flüsterte ich mit allem Mut, den ich zusammenkratzen konnte, dass ich mich freuen würde, wenn sie noch mit rauf in mein Zimmer käme.
Im beleuchteten Flur des Wohnheims war es dann völlig um mich geschehen. Ich sah, wie sie sich bewegte, wie ihre Lippen tanzten. Wie sie mit den Augen zwinkerte. Ich sah, dass sie keine Angst hatte. Mein Herz schlug immer schneller und schneller.
In meinem Zimmer küsste sie mich dann. Sie hatte es gespürt und auch gewollt. Ich kann gar nicht beschreiben, was in diesem Moment in mir vor sich ging, als ihre Zunge meine suchte und sie mich mit ihren weichen Händen festhielt. Für mich ist es ein echtes Wunder, dass ich mich an diese Minuten so genau erinnern kann, denn bei anderen schönen Momenten meines Lebens kann ich mich zwar gut an die Gefühle erinnern, die ich spürte, und grob an das, was passiert ist. Aber hier erinnere ich mich an fast alles. Was mich noch heute am wehmütigsten macht, ist ihr Geschmack, oder eigentlich ihre Geschmäcker, denn sie schmeckte überall ein wenig anders. Bis heute erinnere ich mich daran, wie es sich anfühlte, ihr sanft durchs helle Haar zu streichen, wie ihre Nase ein klein wenig gerötet war. Ich erinnere mich daran, wie zärtlich wir miteinander umgingen, obwohl wir uns nicht kannten. Ich zitterte bald vor Freude am ganzen Körper und das Allerschönste war, dass es ihr genauso ging.