Offensichtlich war sie nicht traurig, vielleicht sogar froh, über die neue Situation. Für sie ergab sich ja dadurch mehr Freiraum. Insgeheim hoffte ich, durch den räumlichen Abstand gleichzeitig den Abstand von der quälenden Situation zu erlangen. Dabei stellte ich fest, dass der große räumliche Abstand, das intensive Lernen und Eintauchen in eine für mich fremde Welt des Studierens in einem Alter von 48 Jahren, mir erstaunlicherweise gut gefallen hat. Ich lernte viel und emsig wie ein Musterschüler. Die mir entgegengebrachte Wertschätzung meiner erheblich jüngeren Kommilitonen habe ich sehr genossen. Sie stärkte mein Selbstvertrauen. Das hatte ich nötig. Natürlich war dieses Verhaltensmuster eine Schutzfunktion.
Im 51. Lebensjahr schloss ich das Studium planmäßig und erfolgreich ab. Mit vielen Eindrücken und schönen Erinnerungen musste ich meine „heile Welt“ mit den mir lieb gewordenen Kommilitonen wieder aufgeben. Mit einem schlechten Gefühl begab ich mich auf die Heimreise und somit in eine verkorkste Welt. Die Beziehungsprobleme quälten mich von früh bis spät. Natürlich habe ich mir zwischendurch immer wieder die Frage gestellt, wie ich diese übermäßig belastende körperliche, nervliche und psychische Situation für mich endlich abschließen könnte. Von Lebensqualität, nicht einmal von einer bescheidenen, konnte schon lange keine Rede mehr sein.
Wieder zu Hause lief unser Katz und Maus Spiel in eher ruhigeren Bahnen als vorher. Sie blieb nicht mehr nachts weg, sondern betätigte sich angeblich oder tatsächlich mit sportlichen Aktivitäten. So kam es dann vor, dass sie nach dem Spielen erst zu später Stunde, zuletzt so gegen Mitternacht, wieder Zuhause erschien – und dann noch ausgiebig duschte. Ich spürte und wusste, da läuft wieder etwas – aber anders als vorher.
Irgendwann erklärte sie mir, dass wir in diesem Jahr wegen Personalmangels in ihrer Firma keinen gemeinsamen Urlaub machen könnten. Mir wurde stattdessen vorgeschlagen, mit einem guten Freund den Urlaub zu verbringen. Am Terminal keimte bei mir ein schrecklich ungutes Gefühl und Unwohlsein auf. In diesem Augenblick hätte ich nicht den Flieger betreten können. Beim Gedanken an das Flugzeug machte sich bei mir intensive Platzangst breit. Ich ließ mir zum Unmut der anderen Passagiere mein Gepäck wieder herausgeben und fuhr nach Hause zurück.