Unsere anonyme Autorin hat mit Amor noch ein Hühnchen zu rupfen. Denn wenn er vor ein paar Jahren etwas genauer gezielt hätte …
Amor, wir müssen reden! Ich muss ein Hühnchen mit dir rupfen. Ganz ehrlich, ich habe leider nicht den Eindruck, dass du deinen Job immer gut und gewissenhaft erledigst. Wenn du jetzt nicht gerade ein Gott wärst, würde ich dir in meiner Rolle als Lehrerin eine Vier minus geben. Versetzung gefährdet. Aber jeder hat ja eine zweite Chance verdient, so auch du. Deswegen schreibe ich dir hier meine Geschichte, die ich am Ende selber retten musste. Ohne deine Hilfe. Dabei hätte alles so einfach sein können … Vielleicht lernst du ja daraus und nimmst dir noch ein paar Übungsstunden, damit du nächstes Mal die Richtigen triffst und es nicht so schmerzhaft und verworren ist – das mit der Liebe und alles, was mit ihr zusammenhängt. Du weißt schon, was ich meine.
Es war an einem extrem kalten Tag Ende Mai vor vielen Jahren (ich fühle mich gerade mächtig alt, das so zu formulieren …), als du aus einer Laune heraus meinen Ex, ich nenne ihn mal Ben, und mich zusammengebracht hast. Auf einer Fortbildung am Rand der Alpen war das. So hat man sich das bei Lehrern vorzustellen: Eine Tagungsstätte in malerischer Landschaft, anfangs kahle, eigenwillig riechende Seminarräume, in denen am Ende des verlängerten Wochenendes lauter bunte Plakate rumhängen, semi-spannende Inhalte, mit denen man pubertäre Kids kaum beeindrucken kann, und feuchtfröhliche Abende im nahen Biergarten bei der einen oder anderen Mass unter selbst mitgebrachten Wolldecken (nein, nicht gehäkelt!).
Um ehrlich zu sein kann ich mich gar nicht mehr an das Thema der Fortbildung erinnern. Dafür umso mehr an den Abschlussabend, den wir in der großen Gruppe ausklingen ließen. Natürlich bei reichlich Bier oder – deutlich seltener – Kräutertee. Wir saßen wie die Hühner eng beieinander auf den Holzbänken und stöhnten, dass schon am nächsten Tag das Seminar enden und übermorgen der Alltag zurückkehren würde. Mir gegenüber saßen drei Herren in meinem Alter, durchaus attraktiv und witzig, die sich im Laufe des Abends gegenseitig mit ihren Anekdoten und – mehr oder weniger glaubwürdigen – Lebensgeschichten zu überbieten versuchten. Singles, vermutete ich einfach mal. Singles so wie ich. Interessant. Und dann gleich drei an der Zahl. Sehr schön, ich war begeistert.