Wir fuhren zu mir, um in Ruhe miteinander sprechen zu können. Er hatte Fotos von der Familie dabei, die Kinder von einst waren inzwischen groß geworden. Die meiste Zeit habe ich geredet. Ich wollte keine Zeit zum Nachdenken haben, was da zwischen uns war und ob das etwas zu bedeuten hatte. Er schien in Gedanken versunken und den Blick gar nicht mehr abzuwenden. Ich habe ihn geradezu körperlich gespürt und dieser intensive Blick machte mich unruhig. Immer wieder wollte er mich umarmen. Ich ließ es geschehen und war innerlich voller Widerstand, irgendeine Nähe zwischen uns zuzulassen. Nachdem wir uns getrennt hatten, sah ich ihm aus dem Auto nach. Seine Körperhaltung, seine langen Schritte mit leicht gesenktem Blick – er wirkte bis in die Grundfesten erschüttert. Dass er mich unbedingt wiedersehen wollte, hatte er mir noch gesagt – ich hielt es für keine gute Idee.
In den Wochen danach telefonierten wir wieder in unregelmäßigen Abständen. Es hatte nichts weiter zu bedeuten, an dieser Überzeugung wollte ich festhalten. Ende des Jahres habe ich ihn zu Hause besucht. Inzwischen gab es zwischen uns eine angenehme freundschaftliche Vertrautheit. Aber die Grenzen waren klar gesetzt. Das mit uns, was immer es war, sollte keinen größeren Raum in meinem Leben bekommen. Ein Telefongespräch in der Zeit danach brachte eines Abends ganz unerwartet die Wende. Seine Stimmung war anders, er schien aufgewühlt und bedrückt zu sein. Vertraute mir ein Geheimnis an, das ihn offenbar umtrieb. Nachdem wir aufgelegt hatten, war ich aufgeregt und verwirrt, weil mir klar geworden war, dass ich ihm wirklich etwas bedeutete. Von da an hatte mein Yesterday-Man wieder eine Bedeutung in meinem Gefühlsleben und ich freute mich über seine Anrufe.
Eines Tages bat er mich am Telefon um ein weiteres Treffen, diesmal bei mir. Ich wand mich, wollte mich nicht darauf einlassen. Ein Satz von ihm, der mich ins Herz traf, berührte mich und ließ meine Widerstände dahinschmelzen. Seitdem hat er mich nie wieder bitten müssen. Es ist uns dann gelungen, drei Jahre lang bei unseren gelegentlichen Treffen eine gewisse Grenze nicht zu überschreiten. Dabei gab es aber Momente, die mich ich an der rein freundschaftlichen Ausrichtung unseres wiederaufgeflammten Kontaktes zweifeln ließen. Eine sehr innige Umarmung eines Abends vor meiner Abfahrt sagte mehr als viele Worte und bestürzte mich, denn wir hätten dort überrascht werden können. Ein anderes Mal streichelte er mich zärtlich, drückte mich an sich und seufzte leise. Auf meine Nachfrage wies er aber andere Ambitionen von sich. Die waren dann beinah greifbar, als er sich einige Wochen später bei einem Besuch in meiner Wohnung gar nicht trennen mochte und meine körperliche Nähe auffallend suchte. Das habe ich an einem bestimmten Punkt gestoppt. Nachher ist mir klargeworden, dass wir uns da bereits weit entfernt hatten von der Zeit, wo es bei einem Flirt mit Worten und Blicken geblieben war.
Als es auf das nächste Treffen zuging, war ich sehr aufgewühlt. Ich wusste inzwischen, dass wir es beide wollten und dass wir nicht mehr zurück konnten. Es wurde ein ganz besonderes Treffen, bei dem wir uns sehr vorsichtig angenähert haben. Unser erstes Mal war außergewöhnlich. Wir hatten so lange darauf gewartet, ohne dass es uns bewusst gewesen war, als wir über Jahre keinen Kontakt zueinander gehabt hatten.