Mein Yesterday Man

Eine Liebesgeschichte über mehr als zwei Jahrzehnte. Eine Beziehung mit mehr als zwei Personen. Wahre Liebe findet immer einen Weg, auch außerhalb der Pfade, die alle anderen gehen

Alle Männer, die in meinem Leben eine größere Bedeutung bekamen, sind mir über den Weg gelaufen. Ich habe nicht nach ihnen gesucht, aber ich habe sie gefunden. Mein Yesterday-Man ist mir seinerzeit auf dem Silbertablett präsentiert worden. Seelisch angeschlagen von einer vorangegangenen Liebesgeschichte, an der ich mich noch eine ganze Weile abgearbeitet habe, begann für mich durch diese Begegnung ein neuer Lebensabschnitt.

Ich hatte dort ein kleines Zimmer zur Miete, mehr als zwei intensive Jahre lang. Schon bei der ersten Begegnung, bei der wir nicht allein waren und die für ihn wohl keine weitergehende Bedeutung hatte, faszinierte er mich und belebte meine Fantasie. Er glaubte in Sicherheit zu sein, war er doch in festen Händen, wie ich zu meiner tiefen Ernüchterung bald erfuhr. Da war es schon zu spät, meine Gefühle in sichere Gefilde zurückzuführen. Wir hatten zwei Wochen voll übermütiger Leichtigkeit. Es war herrlich, endlich mal wieder – ganz unverbindlich aus seiner Sicht – mit einem attraktiven Objekt der Begierde zu flirten. Wenn sich unsere Wege kreuzten, verhakten sich unsere Blicke und die Zeit stand für Sekunden still. Es war wie ein Rausch, den er schließlich mit Ansage beendete.

Nach einem leichtfüßigen Anfang gingen wir uns eine schmerzhafte Weile aus dem Weg. Aus meinen Gedanken konnte ich ihn nicht mehr vertreiben. Mehr oder weniger zufällige Begegnungen führten trotz anderer Vorsätze irgendwann zu einer vorsichtigen Annäherung. Es blieb nicht bei tiefen Blicken und mehrdeutigem, verbalen Schlagabtausch, der unser beider Fantasie belebte. So kam es eines Tages zu einer für mich sehr überraschenden ersten Umarmung. Dann wieder Rückzugsgefechte von seiner Seite, auf die ich sehr emotional reagierte.

Späte Besuche in meinem Zimmer, bei denen es zu mehr kam, deuteten auf weitergehendes Interesse hin – trotz verbaler Dementis, an denen es nicht mangelte. Ich verbrachte schlaflose Nächte, nicht nur, wenn er Damenbesuch hatte. Meine Situation, in der räumliche Nähe dennoch Unerreichbarkeit bedeutete, quälte mich in Schüben. Zweimal habe ich einen Fluchtversuch gemacht, er hat ihn jedes Mal erfolgreich verhindert. Danach ging das Hoffen und Nicht-Hoffen-Wollen weiter. Nicht selten verwickelten wir uns in heiße Diskussionen über Gott und die Welt. Wenn sich unsere Blicke trafen und beim anderen verweilten, waren die Gedanken schnell bei einem ganz anderen Thema. Wir waren von Anfang an Komplizen und wurden Meister darin, vor Dritten unser Spiel zu spielen. Gegen alle Regeln der Vernunft habe ich ihn mir so sehr gewünscht, konnte nicht von ihm lassen.


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