Ist Liebe bedingungslos? Was darf Liebe erwarten und wann wird Liebe zur Illusion? Über das schönste Gefühl der Welt, das aber auch ziemlich einsam machen kann. Ein Leserbeitrag von Lena-Kristin
Ich will sie spüren – diese Liebe, die einfach existiert, weil ich als der Mensch gesehen werde, der ich wirklich bin. Diese Liebe, der egal ist, wie ich heute aussehe oder ob ich mal wieder mit dem falschen Fuß voran aus dem Bett gekrochen bin. Diese Liebe, die mich akzeptiert, wenn ich heulend unter meinem Schreibtisch sitze und meine gesamte Existenz infrage stelle. Diese Liebe, die mich einfach in den Arm nimmt, obwohl ich gerade am liebsten alles kurz und klein schlagen würde, weil ich mich selbst gerade nicht ausstehen kann. Diese Liebe, die nicht von mir verlangt, ein perfekter Mensch zu sein, der sich selbst und sein Leben gänzlich im Griff hat … Geliebt werden für all das, was ich in diesem Augenblick bin und nicht für das, was ich sein könnte.
Warum liebe ich überhaupt?
In der ersten Phase der Verliebtheit sitzt die rosarote Brille ziemlich fest. Oftmals erlebe ich dann mein Gegenüber als schier perfekt und könnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser Mensch einmal Verabredungen vergessen, nicht ans Telefon gehen, oder bei kleinen Diskussionen schnell an die Decke gehen könnte. Leicht ist vergessen, dass der andere Mensch eben auch nur ein Mensch ist und nicht ein für mich eigens kreiertes Wesen, mit welchem ich für immer in ewiger Harmonie leben werden. Die Realität schmeckt manchmal bitter. Mit einem Mal werden all die kleinen Dinge, die ich anfangs so leicht übersehen konnte, zum Kampf mit den eigenen Nerven.
Und wer kennt das nicht? Sie hat nun schon zum hundertsten Mal kindisch auf Kritik reagiert. Er kann seine Verletzlichkeit nicht zeigen. Sie kann nicht deutlich aussprechen, was sie will und was nicht und er nimmt mal wieder ungefragt das Zepter in die Hand. Sie wünscht sich mehr Anerkennung für ihre Leistungen. Er fühlt sich unter Druck gesetzt. Und so weiter und so fort …
Wenn ich dich bedingungslos liebe, nehme ich dich so an wie du bist – mit all deinen Makeln, Schwierigkeiten und Abgründen. Denn jeder von uns hat sie. Jeder kämpft mit seinen eigenen, kleinen Dämonen. Jeder schaut gelegentlich in den Spiegel und kann das, was er sieht, nicht leiden.
So muss ich mir also zuerst meine eigene „Unperfektheit“ eingestehen und darf mich dafür nicht verurteilen. Nur so mache ich einen ersten Schritt in Richtung bedingungslose Liebe. Es ist wichtig, sich selbst und seine Fehler auch mal auf die Schippe nehmen zu können; sich nicht immer allzu ernst zu nehmen. Nur so gelingt es, das Denken und Handeln eines anderen Menschen zu akzeptieren und nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.
Bedingungslose Liebe entsteht aus dem Wunsch heraus, dass es dem Gegenüber gut gehen möge. Abhängige Liebe entsteht aus dem Wunsch heraus, das eigene Wohlbefinden durch die andere Person zu sichern. Es ist mir schon passiert: Ich bin einem Menschen begegnet und plötzlich schien alles perfekt zu sein. So richtig perfekt eben: mit Engelschören als Hintergrundbeschallung. Der Andere schien alles in mir auszubalancieren. Er hatte genau das, was mir fehlte. Bis zu einem gewissen Grade ist dieses Empfinden auch vollkommen gesund, denke ich. Doch schnell schlich sich das Gefühl ein, ohne die andere Person nicht glücklich zu werden. Ohne ihn fühlte ich mich nicht mehr ganz.
Dabei bin ich doch noch immer mein ganz eigener, kompletter Mensch gewesen, der eigentlich alles hat, was er braucht. Ich habe in dieser Zeit verlernt, für mich selbst da zu sein. Dabei ist es extrem wichtig, auch in einer Partnerschaft für sein eigenes Wohlergehen sorgen zu können und nicht darauf zu bauen, dass der Partner einem schon jeden Wunsch von den Augen ablesen wird. Ich war ja kein hilfloses Baby mehr – und mein Partner nicht mein Mutterersatz.
Bedingungslos zu lieben, wie schaffe ich das?
Vermutlich ist der wichtigste Schritt die vollkommene Akzeptanz meiner Selbst, denn nur so erreiche ich es, Akzeptanz und Toleranz anderen gegenüber zu empfinden. Ich musste lernen, andere Menschen wahrhaftig zu sehen; den ganzen Menschen in seiner Gesamtheit wahrzunehmen. Ebenso musste ich mir eingestehen, dass es so etwas wie eine „perfekte“ Partnerschaft nicht geben wird. Denn keine ernsthafte Verbindung, aus welcher persönliches Wachstum hervorgeht, kommt ohne Konflikte aus. Schließlich lerne ich daraus – nicht nur etwas über mich selbst, sondern auch über mein Gegenüber. Ich muss bereit dazu sein, mich in Beziehungen hinzugeben, verletzlich zu sein und meinem Partner Raum zu geben. Denn nur in einem Raum vollkommener Offenheit kann sich Liebe entfalten, reifen und wachsen.
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