Ich werde da sein – aus Wertschätzung

Du hast Bulimie und fast niemand weiß davon. Es geschieht hinter geschlossenen Türen, so wie deine Seele hinter geschlossenen Türen leidet. Beizeiten geschieht es. Daheim, im Bad. Es ist ein Auf und Ab. Nicht jede Woche, nicht einmal jeden Monat frisst sich der Drang durch deine Seele, bis du nicht mehr anders kannst, dafür aber manchmal täglich mehrmals. Die Krankheit ist tückisch. Nur die Regelmäßigkeit, mit der sie dich in guten Phasen immer wieder überfällt, ist eine traurige Konstante.

Wir sprechen offen darüber, aber du hast mir gesagt, dass es nicht immer geht, das Sprechen, dass es manchmal einfach schlimmer wäre als das, was mit dir passiert. Du meinst das Schamgefühl. Es macht dich in diesen Momenten verletzlich wie Reispapier. Ich wage dann kaum noch zu atmen.

Wir essen die Pasta, du liebst sie scharf. Ich bekomme Schluckauf. Du versuchst mich zu erschrecken und tatsächlich gelingt es dir: Ich muss nicht mehr hicksen. Wir essen das Schokoeis. Ich sehe dich an, denke an deinen Kalender, sehe dein schönes Gesicht, deinen schönen Körper. Höre die Stimme, die ich liebe, die Worte, die nur du formen kannst. Ich habe damals alles an dir geliebt, auch den Schatten, den du mit dir herumgetragen hast und der sich auch heute noch nicht ganz aufgelöst haben wird. Er ist hartnäckig.

Später lieben wir uns, ich pelle dich aus deinen Leggings, dein Haar fällt in mein Gesicht. Ich muss niesen und du lachst. Wir tun Dinge, die sich wie eine unglaublich lange Umarmung anfühlen, und als wir fertig sind, umarmen wir uns tatsächlich. Du schläfst ein, öffnest den Mund, ich höre dich schlafen. Ich stehe noch einmal auf, um etwas aufzuräumen, die Teller wenigstens, um die Balkontür zu öffnen und frische Luft hereinzulassen. Da liegst du, ganz nah, ich stehe am Bettrand und bin glücklich. Die Stumpenkerzen, die wir angezündet hatten, sind fast heruntergebrannt. Ich puste sie aus, warte, bis es im Raum nicht mehr nach Kerzen riecht, schließe die Balkontür. Dann lege ich mich neben dich und decke uns zu.


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