Am nächsten Morgen, ich hätte es mir denken können, war er zur Frühstückszeit bereits abgereist. Die Nummer war nicht vergeben. Ich saß in meinem Zimmer auf dem Bett und weinte.
Ich kriege diese Passage nicht mehr aus meinem Kopf. Ich bin eine erwachsene Frau, ich habe nicht sehr viel, aber einiges erlebt. Aber das war neu für mich gewesen. Ich verstand es nicht, ich verstand mich selber nicht mehr. Es beschämt mich, dass das so passiert ist. Das am Strand vielleicht weniger als seine Zurückweisung und Lüge. Ebenso schockiert mich meine Passivität, dass ich plötzlich einfach Beobachterin meines Lebens wurde und mich dessen kaum verständlichen Bewegungen einfach hingab wie ein Ruderboot auf dem offenen Meer.
Dieser Tag hat nichts mit Liebe zu tun, nicht im Entferntesten, aber wenn ich heute an ihn zurückdenke, dann muss ich mir eingestehen, dass ich wohl so etwas wie verknallt gewesen war in diesen Mann, der in mein Leben trat und gleich wieder verschwand. Da muss meinerseits mehr gewesen sein als einfach nur Faszination und Attraktion. Aber ich weiß nur, dass dieses Mehr bei ihm keinen Anklang fand und dass er in mir etwas völlig anderes gesehen haben muss. Ich war wohl für ihn einfach nur eine Nummer, eine Herausforderung, eine Gelegenheit. Er hielt sich einen Tag lang an die gesellschaftlichen Regeln und entschied sich, wohl aus dem Gefühl heraus, nicht mehr viel Zeit zu haben, für eine krasse Abkürzung. Für ihn war diese Geschichte zu keinem Zeitpunkt auf Dauer angelegt gewesen. Und für mich? Ich weiß es nicht. Das Schreckliche ist, dass mir die meisten Gedanken und Gefühle von diesem Tag abhanden gekommen sind, dass ich nicht mehr weiß, wer ich an diesem Tag gewesen bin.
Seitdem schäme ich mich. Es ist nicht nur die Verletzung durch diesen Mann. Es ist auch eine tiefe Beschämung über mich selber, meine Willenlosigkeit und Passivität. Ich will dieses Gefühl nicht, aber es hat mich wie eine zweite Haut überzogen. Ich habe an diesem einen entspannten Urlaubstag wohl so etwas wie Entspanntheit, Offenheit und Lässigkeit ausgestrahlt, und er verletzte nicht nur die guten Sitten, sondern auch mein Herz.
Dieses verletzte Herz schlägt jetzt in mir. Fühlt sich beschmutzt. Benutzt. Hat die Botschaft bekommen: Du reichtest nicht aus und kannst das nicht leugnen. Die erwachsene Frau in mir wehrt sich vehement und weiß, ich bin wertvoll, ich bin Liebe wert, er hat Grenzen überschritten und verletzt, er hat sich falsch, egoistisch, ja grausam verhalten, nicht ich. Trotzdem ist da diese Scham und ich habe seitdem Angst vor jeder nächsten intimen Begegnung mit einem Mann.
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