Ich habe mich entschlossen, dich endlich zu vergessen

Unser anonymer Autor leidet an einer chronischen Krankheit, die seinen Alltag kompliziert macht. Zu kompliziert, wie seine Freundin eines Tages fand

Verdammt, ich will dich vergessen. Ich würde dich so gerne vergessen. Jetzt gleich, morgen oder wenigstens in einer Woche. Aber meine Erinnerungen an die fünfzehn Monate, die wir zusammen hatten, verhindern es. Ich werde dich so schnell nicht vergessen können. Auch nicht das, was du mir am Ende mitgeteilt hast. Du hast dich in mich eingraviert, wohl ohne dass ich bei dir eine sichtbare Spur hinterlassen hätte.

Es gibt da so ein Schloss, ein kleines rotes Schloss, wie man es verwendet, um eine Kellertür zuzusperren. Ein Vorhängeschloss mit Gravur. Darauf zwei Buchstaben: M und S. Dazwischen ein „&“. Darum ein Herz, mit etwas zittriger Hand ins Metall geritzt. Die zittrige Hand gehörte dir. Dieses rote Schloss hängt an einem Geländer in Hamburg, nahe der Elbe. Drumherum hängen noch viele hundert andere gravierte Schlösser. Alle erzählen davon, dass es diese wundersame Sache wirklich gibt, die zwei Menschen miteinander verbindet und schier blind vor Glück macht.

Unser Schloss hängt noch immer dort. Wenn es stürmt, was es in dieser Stadt häufig tut, schlägt es zusammen mit den hunderten anderen Schlössern gegen das metallene Brückengeländer, dass man sich fast die Ohren zuhalten muss.

Ich meide diesen Ort. Ich kann da nicht mehr langgehen. Unsere Vergangenheit hat die Erde verbrannt. Jeder Schritt würde mir wehtun.

Es gab eine Zeit, da haben wir es aus Überzeugung aufgehängt. Wir hatten uns füreinander entschieden. Beschlossen, zusammen durchs Leben zu gehen. Das dachte ich wenigstens. Ich hatte gerade eine mehrjährige Beziehung hinter mir, die zwar angenehm, leider aber auch einvernehmlich perspektivlos gewesen war, und erfreute mich einer stabilen Phase. Die chronische Krankheit, die mein Leben seit Kindertagen zu einer Achterbahnfahrt machte, verhielt sich still. Ich war mobil, zuversichtlich und voller Ideen. Wir lernten uns auf einer WG-Party eines Freundes kennen und alles fügte sich unmittelbar zusammen. Deine süßen Grübchen, meine Witzeleien, dein draufgängerischer Charakter, mein laut pochendes Herz – das alles schmolz zusammen und wir wurden ein Paar.

Ich war immer ehrlich zu dir und erzählte dir früh von den Einschränkungen, die mir meine Krankheit aufbürdete. Einschränkungen, die mit dem Auge kaum sichtbar sind, aber doch manchmal viel Geduld erfordern. Es war dir egal. Du hast mich angestrahlt und ich habe mich in dich verliebt.


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