Ich weiß noch an dem Tag, an dem du es mir erzählt hast. Du warst so tapfer, so mutig, so entschlossen zu kämpfen. Ich seh oft dein immer noch grinsendes Gesicht vor mir: „Weißt du Baby, ich muss dich enttäuschen. Die Besten sterben jung, aber zu denen zähle ich ja nicht.“ Du scheinst dich geirrt zu haben. Du warst der Beste, und wirst es auch immer sein.
Ich will, dass du weißt, dass du immer noch den größten Teil meines Herzens in Anspruch nimmst und dass sich das niemals ändern wird. Nur, ich musste irgendwie weiter machen. Ich bin hier und du nicht mehr. Ich will mich jetzt gar nicht rechtfertigen. Ich weiß, das hättest du niemals gewollt. Du sollst nur nicht das Gefühl haben, dass ich dich ausgetauscht hätte. Dich kann man definitiv nicht austauschen. So einen Sturkopf finde ich nicht wieder. Du warst ohne Frage einzigartig. Deine Phantasie war einfach grenzenlos. Dein Optimismus ansteckend. Deine Abenteuerlust inspirierend.
Letzten Mittwoch war ich bei deinen Eltern. Sie scheinen endlich weiterzumachen. Wieder nach vorne zu blicken, so weit das möglich ist. Sie haben das Haus verkauft und ziehen in ein paar Wochen zurück in eure Heimat. Es wird ihnen gut tun, das weiß ich. Und du wirst es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber deine Mutter hat endlich angefangen, ihr eigenes Kochbuch zu schreiben. Sie will es dir widmen und selbstverständlich wird ihr Rhabarber-Nuss-Kuchen einen ganz besonderen Platz in ihrem Buch bekommen. Sie hat ihn am Mittwoch für mich gebacken. Das erste Mal wieder. Es war wie früher. Nur du hast gefehlt. Dein Papa fängt langsam auch wieder an, Witze zu erzählen. Sie sind zwar nicht lustiger geworden, aber ich denke, es ist ein gutes Zeichen. Ich musste Ihnen natürlich versprechen, dass ich Sie bald wieder besuche, auch wenn sie umziehen.
Ich habe mich irgendwie nicht getraut, ihnen zu erzählen, dass ich jemanden kennengelernt habe. Ich glaube nicht, dass sie mir böse wären, aber ich konnte es noch nicht. Ich wollte, dass du es zuerst erfährst. Nach all den Jahren habe ich immer noch Angst, dass du dich übergangen fühlst. Ich weiß nicht, ob das irgendwann aufhören wird. Eigentlich will ich gar nicht, dass es aufhört. Du bist und bleibst ein Teil von mir. Ein Teil, den ich schmerzlich vermisse. Mal mehr und mal weniger. Und solange ich dir regelmäßig diese Briefe schreibe und dir von meinem Leben berichte, weiß ich, dass du dort oben noch irgendwo bist. Dass du mir zuschaust, mich begleitest, mich beschützt.
Julia meinte letztens, dass es krank ist. Dass ich endlich aufhören soll, diese Briefe zu schreiben. „Es ändert doch eh nichts!“, lallte sie nach einer halben Flasche Wein. Ich habe nichts dazu gesagt … Aber dir antworte ich darauf: Ich weiß, dass ich dich nicht wieder zurückholen kann, dass ich nie eine schriftliche Antwort von dir bekommen werde und dass sich letztendlich auch nichts ändern wird. Aber es hilft mir. Es hilft mir, mit all dem klar zu kommen. Es hilft mir, mein Leben weiterzuführen, meine schönen Erinnerungen an dich aufrecht zu halten.
Es erleichtert mein Gewissen, es bestätigt mich in Entscheidungen und es gibt mir Halt. Halt, den ich seitdem du nicht mehr da warst, erst wieder finden musste. Nach dem ich Wochen, Monate, Jahre lang suchen musste. Ich habe ihn gefunden. In diesen Briefen. In diesen Mitteilungen, die ich dir überbringe. Wo immer du auch sein magst.