Ich bekomme keinen Tag zurück

Ich empfand Mitgefühl, Solidarität und hatte das Gefühl, dir eine Chance geben zu müssen. Denn jeder hat eine zweite Chance im Leben verdient. Ich sagte dir immer wieder, dass ich niemals mit einem Junkie zusammen sein könnte. Und du sagtest immer wieder, dass du das alles hinter dir hast und clean bist und dein Leben komplett geändert hast. Du sagtest, du hättest schon einmal über zehn Jahre mit einer Frau zusammen gelebt, mit der du Kinder hast und du hast ein ganz normales Leben gelebt ohne Drogen. Das alles führte dazu, dass ich dich kennen lernen wollte. Ich wollte dir in die Augen sehen und erleben, was das mit mir macht. Entweder funkt es, denn sowas merke ich immer innerhalb von Minuten oder es passiert nichts, dann hätte ich den Kontakt abgebrochen.

Wir trafen uns abends in einem Café und für ein paar Sekunden dachte ich darüber nach umzudrehen und zu gehen, als ich dich da am Tisch sitzen sah, in deinem Sweatshirt mit deinem Cap tief ins Gesicht gezogen. Aber dann sahst du mich an und von dem Moment an, zogst du mich in deinen Bann. Es waren deine tiefbraunen Augen, deine schöne gebräunte Haut, deine sehr tiefe Stimme, deine maskuline Ausstrahlung. Ich konnte dich nur noch ansehen und klebte an deinen Lippen. Mein Herz schien zu explodieren, wenn unsere Hände sich zufällig berührten. Wir zogen an diesem Abend durch mehrere Cafés und redeten die ganze Zeit. Überwiegend du. Aber das war ok und interessant. Wie ein Film, denn du hattest ein komplett anderes Leben als ich. Ich fühlte eine unglaubliche Anziehung. Ich kann bis heute nicht sagen, was es genau ist, aber ich kann mich nach wie vor nicht dagegen wehren.

Nach vier bis fünf Stunden und ein paar Gläsern Wein konnte ich nur noch denken: “Küss mich endlich!” Und dann, als ich schon fast daran dachte, nach Hause zu gehen, auf einmal sagtest du: “Ich würde dich jetzt gerne küssen, darf ich?” Und von dem Moment an war es um uns geschehen. Wir vergaßen alles um uns herum, die Welt schien still zu stehen, es gab nur noch uns.

Wir telefonierten von nun an täglich und schrieben uns Nachrichten und wir sahen uns ein paar Mal die Woche. Du hast so eine unglaubliche Anziehung auf mich, so etwas habe ich noch nie erlebt. Wir schaffen es beide nicht, nebeneinander zu sitzen ohne uns zu berühren. Unser Sex ist so unglaublich leidenschaftlich, liebevoll und wild zugleich. So etwas habe ich noch nie erlebt. Du sagtest, dir ginge es ähnlich. Wir warfen alle Bedenken über Bord, vergaßen alle Enttäuschungen und Verletzungen aus der Vergangenheit und ließen es einfach passieren. Wir waren spontan und ausgelassen und überglücklich.

Und dann kam der Knall. Wir waren zum Geburtstag eines Kumpels eingeladen. Du holtest mich ab. Viel zu spät und völlig breit. Du warst nicht mehr du selbst, sondern ein Monster. Schlagartig verstand ich, dass du die Drogen nicht hinter dir gelassen hattest, sondern nur ein sehr guter Schauspieler und ich ein naives Opfer. Als du wieder clean warst, redeten wir sehr lange und offen. Erstmals redetest du mit einem anderen Menschen offen über das, was du als Kind erleben musstest. Und obwohl ich auch misshandelt wurde, konnte ich nicht aufhören zu weinen. Denn deine Geschichte war so heftig, dass ich dich einfach nur noch in den Arm genommen habe und nie wieder los lassen wollte.


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