Du warst mein Anker

Bald kamst du zur Berufsschule und warst jedes Wochenende zuhause. Das war so ein Luxus, aber ich war trotzdem unglücklich. Ich wollte dich mit jeder Faser meines Körpers aufsaugen und bei mir haben. Jedes Mal, wenn du Sonntagabend wieder gingst, habe ich ein Tränchen verdrückt und wir haben jeden Abend telefoniert. Das wurde dir zu viel.

Du brauchtest deine Freiheit und ich brauchte dich. Das war immer ein riesiger Streitpunkt, aber irgendwie haben wir uns arrangiert. Ich war immer die, die zuhause geblieben ist und auf dich gewartet hat. Ich habe so viel aufgegeben, weil ich jede Sekunde, die ich mit dir haben konnte, ausnutzen wollte. Dementsprechend schlecht ging es mir auch immer.

Ich war ein gebranntes Kind, was Beziehungen angeht. Eine meiner vorherigen Beziehungen war nicht schön und deswegen konnte ich dir nicht die Freiheit geben, die du brauchtest. Als ich dir am Telefon alles erzählt hatte, was passiert war, warst du so mitgenommen und es ging dir furchtbar, weil du nicht verstehen konntest, warum mir jemand so etwas antun konnte. Ich bekam am nächsten Tag eine Nachricht von dir. Du würdest abends mit dem Zug zu mir fahren, obwohl du noch Schule hattest. Ich war so glücklich. Als ich dich abends vom Zug abgeholt habe, fielen wir uns in die Arme und konnten uns nicht mehr loslassen.

Bei mir in der Wohnung hast du dann gesagt, dass du gemerkt hast, dass du mich liebst. Wir waren uns so wahnsinnig nahe in dem Moment. Ich kann diese Gefühle nicht beschreiben, so intensiv und wunderschön war es. Du hast mir zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl gegeben, von ganzem Herzen geliebt zu werden und beschützt zu sein. Wenn du da warst, habe ich mich stark und unverwundbar gefühlt. Ich danke dir so sehr dafür, dass du mir gezeigt hast, was ich kann und wie stark ich sein kann.

Dann schließlich musstest du in meiner Nähe arbeiten und du hast bei mir gewohnt. Wir haben immer gesagt, dass wir so glücklich sein würden, wenn wir uns irgendwann mal über liegengelassene Socken streiten würden, anstatt über die Tatsache, dass wir uns überhaupt sehen. Und genau so war es auch. Es war eine wunderschöne Zeit.

Doch die Zeit kam, wo du wieder aufs Schiff musstest. Vor diesem Tag hatte ich ewig Angst. Ich wusste, dass diese Zeit hart werden würde. Als wir uns verabschieden mussten, hatte ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich war verzweifelt und bin in ein tiefes Loch gefallen. Ich hatte plötzlich Zweifel, weil ich wegen dir so Liebeskummer hatte. Ich habe es dir gesagt und du meintest, dass es vielleicht besser wäre, wenn wir nicht mehr zusammen wären.

Ich habe dann einen Kurzaufenthalt dort gebucht und bin zu dir gekommen. Ich hatte die Hoffnung, dass es nicht so laufen würde. Aber innerlich wollte ein kleiner Teil von mir diese ständigen Schmerzen und Abschiede nicht mehr. Also haben wir uns getrennt. Ich war gefasst und irgendetwas in mir wusste, dass alles passt, nur der Zeitpunkt nicht. Also wollten wir getrennte Wege gehen.


Weitere interessante Beiträge