Du nanntest es Liebe

Als es ihm schlecht ging, war er emotional, sensibel und fürsorglich. Als es ihm besser ging, verwandelte er sich in einen ganz anderen Mann. Unsere anonyme beziehungsweise-Leserin erzählt über eine Liebe, die sie heute als Missbrauch bezeichnet.

Mein Körper hat sich wieder erholt. Seit sechs Monaten versuche ich die Wunden, die meine Seele erlitten hat, heilen zu lassen. Es wird mit jedem Tag etwas erträglicher, aber regelmäßig prallt der gesamte Schmerz nochmal auf mich ein. 

Trotz Trennung bist du irgendwie immer noch da. Hast mir so oft erzählt, dass dir manches leid tut und du dir noch eine Chance wünschst, mir zu zeigen, dass es ganz anders sein könnte mit uns. Und auch wenn ich es nicht geschafft habe, den Kontakt zu dir in diesen Momenten komplett abzubrechen, habe ich es geschafft, deinen Worten nicht einfach zu glauben und nicht sofort nach der immer wieder aufkeimenden Hoffnung zu greifen.

Und nach höchstens zwei Tagen „Kämpfen“ musste ich mir von dir anhören, dass ich einfach nicht verzeihen kann und ein furchtbar nachtragender Mensch bin und dass es kein Wunder sei, wenn ich nie eine richtige Beziehung führen könne, wenn ich ständig in der Vergangenheit lebe.

Was du Liebe nennst, nenne ich Missbrauch

Ich habe mir oft gewünscht, dass ich dich einfach hassen könnte und Wut verspüre, aber seit Monaten ist da nichts außer einer Leere und diesem Schmerz. Meine Gefühle für dich waren ehrlich und ich verliebte mich am Anfang in dich. In den Mann, der so am Boden war. Der nicht fest im Leben stand, sondern der liebevoll, emotional und zärtlich war. Und vielleicht warst du in diesen Zeiten wirklich du selbst.

Aber vielleicht war dieses Bild nur für dich nicht erträglich, weil du dich wohler fühlst in der Rolle des Mannes, der fest im Leben steht, einen Plan hat und sich durch nichts unterkriegen lässt. Die Hoffnung, dass der emotionale Mann vom Anfang wieder auftaucht, musste ich begraben. Auch wenn ich es viel zu spät realisiert habe. 

Ich habe dir innerlich vergeben, denn auch wenn du mich tief verletzt hast, war es meine eigene Verantwortung, dass ich immer geblieben bin und so viel ausgehalten habe. Das ist meine Aufgabe. Mich selbst wiederzufinden und mich um mich selbst zu kümmern, bis ich wieder vollständig vom Boden aufgestanden bin.

Du nanntest das mit uns immer Liebe. Ich nenne es heute Missbrauch.


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