Du hast noch was, das mir gehört

Geschenke fordert man eigentlich nicht zurück. Doch als sie gegangen ist, hat sie das Wichtigste mitgenommen, das er besaß. Und das wünscht sich unser anonymer Autor in diesem zu Herzen gehenden Brief zurück

Bis heute warte ich auf die Entschuldigung, die ich nie von Dir bekam. Noch heute sehe ich Dich wortlos aus dem Auto steigen. Wie Du mir den Rücken zukehrst und erhobenen Hauptes gehst. Ohne Worte. Ohne einen Blick. Es war der Tag gekommen, an dem Du stark genug warst, mich zurückzulassen. Ohne Reue. Und ohne auch nur einen einzigen Gedanken zu viel an die Konsequenzen Deiner Entscheidung zu vergeuden.

Wohlwissend, dass der Mensch, der Du warst, bevor Du an jenem Tag gegangen bist, schon lange nicht mehr existierte, schreibe ich diesen Brief. Dieser Mensch war für mich bereits gestorben. Und ich lege diesen Brief an ein wohlbehütetes Grab, das ich in Gedanken seither unerlässlich vom Laub befreie, pflege und dessen kleine Kerze ich stets bewache, sodass sie nicht erlischt. Noch nicht.

Immer, wenn ich spät nachts auf meinem Bett sitze, mit ohrenbetäubender Musik, nur einem Funken Licht, nervös an den Fingerkuppen spielend, kommt es zurück. Dieses Gefühl. Auch noch nach der langen Zeit, die mittlerweile vergangen ist. Ich frage mich oft, ob Du gelegentlich ebenso fühlst. Ich vermute, nicht.

Alles, was ich über die Zeit des Vergessens gelesen hatte, scheint sich meiner Wahrheit zu entziehen. Ich glaubte lange daran, dass nach einigen Monaten wieder alles gut werden würde, doch umso länger ich warte, desto mehr muss ich mir eingestehen, dass dem nicht so ist.

Eines Tages habe ich mich auf die Suche gemacht. Und hier bin ich nun. Mit nur einem Funken Licht. Nervös. Mit ohrenbetäubender Musik. An meinen Fingerkuppen spielend. Müde und nachdenklich. Und ich stelle fest, dieser Ort kommt mir so bekannt vor. Es ist, als würde ich mich in einem großen Labyrinth an ein kleines Loch im Gestein einer Abzweigung erinnern, jedoch nicht mehr an die Richtung, die ich damals wählte.

Vor zwei Tagen feierte ich meinen Geburtstag. Bis zum späten Abend hatte ich gehofft, dass Du Dich melden würdest. Doch es kam nichts. Kein Anruf, keine Nachricht.


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