Dieses eine Gesicht

beziehungsweise-Leserin Julia fürchtet sich, zu schnell zu viel zu investieren. Dann begegnet ihr der Mann, der alle ihre Wünsche und Sehnsüchte zu erfüllen scheint. Wird sich ihr Mut auszahlen?

Jeden Tag triffst du unzählige Menschen. Auf der Straße, im Wartezimmer, an der Kasse, in einer Bar. Hunderte Gesichter scheinen wie jedes andere auch. Keines berührt dich so wirklich oder hinterlässt etwas bei dir. Doch da – das eine Gesicht! Diese Augen, dieser Mund, diese Grübchen beim Lachen. Der Ausdruck in den Augen, wenn er oder sie dir von etwas erzählt. Du hörst gespannt zu und sei es auch noch so banal und beginnst, diesen Menschen von Mal zu Mal immer weiter in dein Herz zu schließen. Dieses ins Herz schließen geht schnell. Manchmal schneller als dir lieb ist. Vielleicht gerade deshalb, weil du jeden Tag unzählige Gesichter siehst, die gar nichts in dir auslösen. Und dann das eine, das scheinbar selbiges in dir zu sehen scheint. Vielleicht aber auch deshalb, weil du Wünsche und Sehnsüchte hast, die du plötzlich so leicht in diese Person hineinprojizieren kannst. Und du fängst an, zu träumen … Weil du das Gefühl hast, dass es deinem Gegenüber genauso geht.

So schön das klingt, umso gefährlicher ist es. Gerade für Menschen, die bei solchen Begegnungen recht schnell „All-in“ sind. Die sich öffnen und ihr Herz investieren. Die sich alles mit dieser einen Person vorstellen können und anfangen zu träumen. Die Zeit, Gedanken und so viel Gefühl in diese eine Person stecken. Und die dann, wenn es schiefgeht, nicht einfach loslassen und vergessen können. Denn irgendetwas muss doch da gewesen sein, weshalb genau dieser eine Mensch dir unter die Haut ging. Wieso fühlt er das scheinbar nicht? Wieso kann er loslassen und ohne weitere Erklärung gehen? Du erinnerst dich an all die besonderen Momente, die euch verbunden und doch eigentlich dafür gesorgt haben, dass ihr euch nähergekommen seid und gegenseitig ins Herz geschlossen habt. Wenn du dann realisierst, dass du damit alleine dastehst, tut der Aufprall weh. Alle Illusion dahin. Aber wohin mit den Wünschen und Sehnsüchten, die du in diesen einen Menschen projiziert hast? Wohin mit dem Gefühl der Nähe und des Sich-anlehnen-Könnens?

Von 0 auf 100, von 100 auf 0. So etwas übersteht man nicht unbeschadet. Und so trägst du das Erlebte mit dir mit, vergraben unter der Zeit, die langsam vergeht, bis hin zu dem Moment, wo du erneut jemanden triffst, der dir unter die Haut geht. Und dann kommt sie hoch, die Angst. Gepaart mit der Hoffnung, dass diesmal doch alles gut werden soll. Dass das Gefühl des Glücks doch bitte einmal anhalten soll. Und du hoffst und versuchst, dich aufgrund des alten Schmerzes zu regulieren, um nicht wieder so schnell „All-in“ zu sein: alles zu geben, um am Ende doch wieder nur zu verlieren. Aber gegen dieses eine Gesicht, diese Augen, diese Grübchen, all die Geschichten, die ihr euch abends auf der Couch stundenlang erzählt und die sich dadurch immer weiter aufbauende Nähe kann sich vielleicht dein Verstand wehren, nicht aber dein Herz. Dein Herz, voller Sehnsüchte und Wünsche, das wieder viel zu lange darauf gewartet hat, dieses eine Gesicht zu treffen, um endlich anzukommen. Und du bist erneut „All-in“ …


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