Deine Nachrichten waren lieb, einfühlsam und voller Neugier. Ich fühlte – selbst durch die Distanz, die mit der digitalen Kommunikation einhergeht – wie interessiert du warst, mich kennenzulernen, denn auf eine tiefgründige Weise interessiertest du dich für die Dinge, die mir wichtig sind, für mein ganzes Wesen, wer ich bin, was ich gerne tue und was ich gerne in der Zukunft machen möchte, meine Wünsche, meine Hoffnungen, meine Ziele, meine Träume, meine Ängste und Abneigungen.
Mit jeder Begegnung kamen wir uns näher, innerlich und äußerlich. Wir trafen uns oft, doch ich kann nicht mehr nachvollziehen, wie oft. Wir zählten nicht, denn auch unsere Treffen waren nicht abhängig von Zahlen. Sie waren auch nicht abhängig von unseren Aktivitäten. Wir mussten uns nicht bemühen, wir mussten uns nicht anstrengen. Ich fühlte mich immerzu frei und schwerelos in deiner Gegenwart. Ich spürte, dass du nichts von mir erwartest, dass ich einfach da sein darf, so wie ich bin. Du wolltest mich nicht besitzen und ich wollte dich nicht besitzen. Wir waren beide frei, denn ich wünschte mir nichts – das einzige, das zählte, war das Hier und Jetzt.
Wäre unsere Zweisamkeit ein Songtext, so würde er nicht von dir und mir handeln, sondern stets von den Dingen, die uns wichtig waren. Wir begegneten uns als zwei vollkommene Wesen, die wir im Laufe unserer Leben geworden sind, aus der Summe aller Erfahrungen, die wir je gemacht hatten, aller Gefühle, die wir je gefühlt hatten, aller Träume, die wir je geträumt hatten, in diesem einzigen Augenblick zu zweit und doch jeder für sich. Vielleicht war das die Magie, die unsere Begegnung besonders und auch sonderbar machte. Weil keiner von uns am anderen zerrte, weil keiner etwas einforderte, was der andere nicht geben konnte, weil wir einander wertschätzten, aber einander nicht bewerteten.
Wenn ich mich umsehe, bemerke ich so häufig, wie die Liebe überschattet wird von Besitzansprüchen, von Forderungen, von Erwartungshaltungen und Drama, das von Eifersucht über Erziehungsmaßnahmen bis hin zu emotionaler Freiheitsberaubung reicht. Statt zwei Erwachsener sehe ich zwei trotzige, einsame, traurige kleine Kinder, die sich gegenseitig vorwerfen, dem anderen nicht gerecht zu werden. Diese verlassenen, einsamen, ungeliebten Anteile in uns selbst dürfen genauso da sein wie die glücklichen, unbeschwerten und zugewandten Seiten, denn ein Mensch besteht nicht nur aus Licht, sondern auch aus Schatten. Die Herausforderung besteht darin, auch in der Finsternis weiterzugehen, sich so lange an unsichtbaren Wänden entlang zu tasten, bis man wieder etwas sieht, ohne sich gegenseitig loszulassen.