Dein Geruch muss raus!

Unsere anonyme Leserin hat nach der Trennung keine Kraft mehr und kann das Vermissen kaum ertragen. Für uns hat sie das Tagebuch einer Radiergummiliebe aufgeschrieben

Ich wünschte, es wäre so lustig, wie es klingt. Ist es nicht. Es geht darum, in mühsamer Handarbeit ein Bild zu entfernen, das wir beide in den letzten Monaten gemalt haben. Nur mit Bleistift. Anfangs zaghaft, später wild. Irgendwann aber hast du die Mine zu heftig aufgedrückt und zornig-traurige Kritzeleien aufs Papier gewettert, bis kaum noch ein weißer Fleck zu sehen war. Deine kummervolle Wut entspringt nicht uns und doch entlädt sie sich genau hier. Unsere Leinwand war dafür nicht gemacht – nicht für die volle Ladung bleigrauer Farbe. Aber du warst so erfüllt von diesem Schmerz und dieser Angst, dass sie sich entladen musste.

Und all meine Versuche, deine Gewitterwolken wegzuschieben, deine emotionale Achterbahnfahrt zu bremsen, dich aufzufangen, brachten keinen Erfolg. Stattdessen verlor ich nach und nach meine Kraft.

Und nun sitze ich hier, nach meiner laut ausgesprochenen Bitte, die ich selbst nur entfernt höre: „Ich habe keine Kraft mehr. Bitte melde dich nicht mehr bei mir.“ Ich sitze hier und versuche zu heilen, während das Vermissen wie ein Stachel in meiner Fußsohle sitzt.

Tag 1

Gestern Nacht habe ich deine Nummer gelöscht, die seit fast fünf Jahren dort ihren festen Platz hatte. Und den kompletten Chatverlauf. Nicht aus Hass, nicht aus Rache – aus Selbstschutz. Ich wusste, mache ich das nicht, würde ich alles wieder lesen. Und über kurz oder lang würde ich dir schreiben. Irgendetwas Witziges. Oder irgendetwas, das es rechtfertigt, meine zuvor ausgesprochene Bitte weich zu zeichnen. „Eine Sache noch …“ und dann würden es doch wieder unsäglich viele.

Diesmal nicht.

Alles gelöscht. Ok, bis auf das gigantische Backup, das sich als zip-Datei nun in meinem Postfach befindet. Nur für den Fall …

Ist ein bisschen wie Reste einfrieren. Auch wenn man es vielleicht nie wieder rausholt, es beruhigt doch ungemein, sich seiner Existenz gewiss zu sein. Wir sind Gefühlsmessis, müllen uns zu mit digitalen Memoiren und erkalteten Schwüren.


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