An welchem Punkt gibt man auf?

Es wird kalt. Die Panik setzt ein. Die Luft bleibt weg, und das Herz zieht sich, umwoben von einem zerstörerischen Schmerz, heftig zusammen. Soll es das gewesen sein? Aber wir hatten doch noch so viel vor …

An welchem Punkt gibt man auf? Es heißt, die Hoffnung stirbt zuletzt…

Hoffnung hat uns von Beginn an begleitet. Das, was uns jetzt noch zusammenhält, hat uns auch damals zusammen geführt. Die digitale Welt. Das oft so unsoziale Social Media. Ein Stupser. Ein Hallo. Ein gewitzter Dialog. Tage- und nächtelanges Schreiben. Seelische Nähe ohne körperliche. Warum funktioniert das mit dem „Anstupsen“ nicht in der analogen Welt?

Schnell war klar, dass wir ein WIR sind. Vielleicht zu schnell. Wir haben uns selbst überholt und bereits in der ersten Woche die jeweils andere Familie kennen gelernt, zu der wir fortan gehören sollten.

Wir hatten geheime Zeichen, Codewörter, Bilder, Symbole – schon in den ersten Tagen. Wir waren unromantisch auf unsere eigene romantische Art. Wir waren offen und ehrlich. Kritik war konstruktiv und nie verletzend. Wir haben uns Freiheiten geschenkt und dabei nie das Gefühl gehabt, sie zu brauchen. Alles schien leicht, federleicht. Wir haben das Beste in uns zum Vorschein gebracht: der Michelangelo-Effekt hat seinen Zauber entfaltet. Michelangelo sah in jedem Block Marmor bereits das fertige Kunstwerk und wusste, dass er dieses nur noch ans Licht bringen müsste – mit dem richtigen Einsatz seiner Werkzeuge.

Werkzeuge wie Bestätigung, Bestärkung und Unterstützung bei der Entwicklung der eigenen – besten – Persönlichkeit, ohne den anderen egoistisch und manipulativ verändern zu wollen. Wir waren uns gegenseitig Musen.

Doch dann passierten Dinge, auf die wir nicht vorbereitet waren. Dinge, die man nicht einfach ausblenden kann, wie bei Facebook. Wie einfach wäre es, sich einfach eine Zeit lang nicht im eigenen Leben anzumelden. Beziehungsfasten. Warten bis der Sturm vorüber zieht und dann wieder voll einsteigen. Leider geht das im realen Leben nicht.

Tod bleibt Tod. Trauer bleibt Trauer. Krankheit bleibt Krankheit. Kälte bleibt Kälte. Zuviel Schicksal ist in der kurzen Zeit auf uns eingeprasselt. Mehr als wir (er)tragen konnten. Aus Erwartungen wurden Enttäuschungen, aus Vertrauen wurde Misstrauen. Aus WIR wurden wieder du und ich. Keine Musen mehr. Nur noch müssen.


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