An den Mann, den ich an die Sucht verlor

Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich einmal mit Tränen in den Augen vor dir stand, weil du mich nach einem deiner Wochenendausflüge so schlecht behandelt hattest. Du fragtest, was los sei und zum xten Mal redeten wir über dasselbe Thema, doch dieses Mal war es anders. Du rastetest komplett aus und dann fiel das erste Mal dieses Wort: Alkoholiker. Doch nicht ich nahm es in den Mund, sondern du selbst. Dieses Wort traf mich wie eine Ohrfeige, denn trotz allem, was wir in den letzten Monaten zusammen erlebt hatten, ich hätte dir diesen Titel nie verpasst. Du sagtest mir, dass du Hilfe brauchst und ich wollte dir helfen, diese zu bekommen. Denn ich wusste, dass das über meinen Horizont hinausging und du professionelle Hilfe brauchtest. Ich besorgte dir eine Nummer von einer Beratungsstelle, du wolltest anrufen.

Ein Dreivierteljahr ist das nun her und ich bin mir sicher, du hast es bis heute nicht getan. Damals hörtest du tatsächlich für zwei Wochen auf, bevor du am Wochenende wieder los zogst. Ich verstand einfach nicht, wieso du so handeltest. Du wusstest doch, wie du dich dann verhieltest, du wusstest doch, wie sehr du mir immer wieder damit weh tatest. Warum war ich dir nicht wichtig genug, damit aufzuhören? DU warst es doch gewesen, der das Wort „Alkoholiker“ überhaupt erst in den Mund genommen hatte – und trotzdem war ich die Böse, wenn ich es aussprach. In einem weiteren eskalierenden Streit sagtest du mir dann, du habest dich nur so bezeichnet, damit ich endlich ruhig sei. Dieses Argument war wie eine weitere Ohrfeige, eine weitere Misshandlung durch Worte, die ich bei dir mittlerweile eigentlich schon hätte gewohnt sein müssen. Ich ging für eine Woche, du versprachst, dir Hilfe zu suchen, du versprachst, dass es dieses Mal wirklich und absolut auf jeden Fall das allerletzte Mal gewesen ist! Für immer!

Und ich? Ich glaubte dir, natürlich, denn ich liebte dich so sehr, dass ich es einfach nicht akzeptieren wollte, dass ich dich an die Sucht verloren hatte. Mein Vater hatte mir klar seine Meinung gesagt, jemand wie du, der sich nicht helfen lassen will, dem könnte ich auch nicht helfen. Der wird nie aufhören, der wird immer weiter machen, bis er am Ende alles verloren hat. Und vielleicht wird er nicht einmal dann damit aufhören. Ich weiß noch, wie sauer ich damals auf ihn war. Wie konnte er so etwas nur sagen!

Es lief tatsächlich besser nach dieser einen Woche Pause, doch ich merkte schnell, wie du wieder anfingst, mich zu belügen. Wenn du von Freunden nach Hause kamst, registrierte ich das eine Bier, dass du wider deines Versprechens getrunken hattest. Ich wusste nicht mehr weiter, ich liebte dich und konnte oder wollte nicht verstehen, warum dir die Entscheidung zwischen dem Alkohol und mir so schwer zu fallen schien. Genauso konsequent wie deine „Für Immers“ waren meine „Das Letzte Male“, das weiß ich, aber ich war einfach noch nicht bereit, uns aufzugeben.


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