Als ich wiederkam, warst du bereits gegangen

Ich kam eine Woche zu spät

Es war ein Donnerstagabend. Die erste kalte Nacht des Herbstes stand uns bevor. Ich stand in der Küche, nippte an einem Glas Rotwein, das mich zum Takt der Musik, die im Hintergrund lief, leicht wippen ließ. Und das zweite Glas Rotwein war es dann, das mir Mut schenkte, so viel Mut, dass ich zum Handy griff und hastig die Worte in die Tasten tippte. Dann schickte ich ab. Eine Nachricht, dass ich nächstes Wochenende zuhause bin. Eine Einladung auf einen Kaffee. Nach zwei Jahren. An dich.

Den ganzen Abend und die halbe Nacht ließen meine Augen mein Handy nicht los, klammerten sich an unseren Chat wie ein Kind an den Weihnachtsmann. Erst am nächsten Morgen kam eine Reaktion. Keine Textnachricht, aber ein Anruf. Mein Herz pochte, überschlug sich. Mit zittriger Stimme hob ich ab. „Hallo“, schmunzelte ich in die Leitung und wartete auf deine tiefe Stimme mit dem rauchigen Unterton. Ich wollte noch einmal „Hallo“ sagen, doch da erhob sich bereits die Stimme, die mich anrief. Eine Frauenstimme. Sofort dachte ich daran, es sei deine neue Frau, doch sie meldete sich mit deinem Nachnamen. Es war deine Tochter. Ich schluckte. Zweimal. Doch bevor ich die Worte wiederfand, etwas sagen konnte, hatte sie das Wort bereits wieder an sich gerissen. Mit den Worten „Du bist eine Woche zu spät gekommen“ teilte sie mir mit, dass du letzte Woche an deinem Zucker ums Leben gekommen bist.  Es schnürte mir den Hals zu, versuchte noch irgendetwas zu sagen, doch alles was ich konnte, war nach Luft zu schnappen, von der ich nicht genug bekam. Ich ließ den Hörer fallen und sank mit tränenunterlaufenen Augen zu Boden. Mein Herz zerbrach.

In deiner Wohnung brannte jetzt ein anderes Licht

Eine Woche später war ich dann in der Heimat, in deinem Dorf, wo jetzt ein anderes Licht in deiner Wohnung brannte, ein viel kühleres. Mit meiner Mutter besuchte ich dein Grab. Es war genauso bescheiden wie du immer warst und ich wusste, dass es dir gefallen hätte, hättest du es aus meiner Perspektive gesehen. Ich trat nicht ganz so nah an dein Grab wie es vielleicht andere Menschen tun, weil ich ja gar nicht wusste, ob du mich noch einmal hättest sehen wollen. Trotzdem blieb ich eine ganze Stunde davor stehen und erzählte dir ein bisschen über mein Leben. Ich versuchte, Fragen zu beantworten, die du wahrscheinlich gestellt hättest, hätten wir uns wiedergesehen und manchmal antwortete mir ein kalter Windzug, der mich unter der Nase kitzelte oder ein Vogel, der ein Lied anstimmte. Das war irgendwie beruhigend.

Auch wenn ich nicht mehr weinen muss, ist er immer noch da: der Schmerz, dass du gegangen bist, bevor wir uns wiedergesehen haben und die Tatsache, dass ich etwas zwei Jahre vor mich hergeschoben habe, an das ich jeden Tag gedacht habe und für immer denken werde – dich.

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