Wenn wir uns selbst lieben und respektieren würden, könnten uns sicher viele nicht mehr verletzen. Wir sind so verletzbar, weil da noch wunde Stellen in uns sind – wir uns noch unfrei und unbewusst auf Auseinandersetzungen einlassen –, weil wir uns noch nicht bewusst und auf gesunde Weise von anderen abgrenzen können. Wir lassen uns verletzen, weil wir selbst noch an diesen wunden Punkten zweifeln oder nur ungern hinsehen wollen, und manchmal auch, weil wir uns wenigstens wieder spüren, wenn sie aufgerissen werden. Wir sind eifersüchtig und brauchen Sicherheiten und Garantien, weil uns vielleicht noch Verlustängste plagen. Wir manipulieren, kontrollieren und geben uns für Machtspiele her, weil wir uns nicht hilflos fühlen wollen. Wir lassen uns vielleicht sogar demütigen und schlagen, weil wir jeglichen Selbstrespekt verloren haben. All das gehört auch zur Liebe, aber dann ist sie noch nicht frei und zeigt uns erst unsere Wunden, damit wir endlich bewusst hinschauen und uns um sie kümmern können, damit Heilung geschehen kann.
Jeder liebt, wie er kann und wen er kann. Und wir lieben uns manchmal so lange gegenseitig kaputt, bis wir uns zwangsläufig entschließen müssen, uns zu reparieren, um gesünder, freier, tiefer und ohne Angst und Zweifel lieben können. Aber wir sind eben Menschen, keine erleuchteten Buddhas, und eine Liebe ganz ohne Schmerz ist eine Illusion. Ob wir uns aber von anderen Menschen weiter unbewusst verletzen lassen oder lernen, uns bewusster von ihren Problemen, die nichts mit uns zu tun haben, abzugrenzen, ist ein großer Unterschied. Jede Beziehung kann uns dabei helfen, unsere eigenen Stärken und Schwächen bewusster zu erleben – wie auch die eigenen Grenzen und die der anderen. Jeder Mensch hat Grenzen und sollte sie kennen und achten. Und erst wo wir klare Grenzen ziehen und respektieren können, wo wir uns also wirklich kennenlernen und Verantwortung übernehmen, da kann der Strom der Liebe und der Leidenschaft überhaupt erst wie in einem Flussbett ungehindert fließen.
Eine solche Liebe ist wie Musik und Tanz – wohin der Tanz führt, spielt doch gar keine Rolle. Geht es denn beim Tanzen darum, irgendwo anzukommen? Geht es in der Musik darum, möglichst am schnellsten die Schallplatten zu drehen, ohne dass die Nadel vor dem Schlussakkord aus der Spur fliegt? Geht es in der Liebe um ein klares Ziel, muss man immer alles schon vorher wissen?
Janice Jakait
Liebe oder der Mut, mich hinzugeben, statt mich herzugeben
ISBN: 978-3-95803-130-2
Scorpio Verlag
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