Drive-In: Ganz großes Kino für Romantiker. Ja, es existiert noch, das Autokino – und unsere Gastautorin Ulrike Hagen hat die Stimmung dort erlebt
Ach, was kann Liebe aufregend sein: Knutschen, kichern, kuscheln. Und zwar in der Privat-Loge unter freiem Sternenhimmel. Auf dem Parkplatz der Sehnsüchte erstrahlt Nacht für Nacht ein vergessener Kult in Großformat.
Der Abendhimmel leuchtet zuckerwatterosa, Hitze flirrt über Berlin. Und weitab von Großstadtmief und Hektik der City rollen Wagen für Wagen verliebte Pärchen hier in Schönefeld auf den Platz, auf dem sie für zwei Stunden vergessen dürfen, dass es mehr gibt als die Sterne, die Zweisamkeit und die nostalgische Sehnsucht nach ganz großen Gefühlen. Sie lassen sich entführen in die Vergangenheit. In eine Zeit, in der Kinobesuche noch ein Abenteuer waren. In der Liebende herzklopfend im Schutz des Schummerlichts ihre ersten Küsse erlebten…
Spektakuläre Kulisse für mobile Liebeslauben
Vor der 200 Quadratmeter großen Leinwand, auf der gleich der neue „Terminator “ gespielt wird, parken in Reihen die Wagen. Ihre Insassen – überwiegend Frischverliebte – schlendern noch zum Burger-Trailer, um engumschlungen authentische Verpflegung zu ordern. Oder sie machen es sich gleich im Auto behaglich und genießen den Panoramablick auf den surreal-kitschigen Sonnenuntergang. So wie Sandra, 29, und Jens, 43: „Du siehst es selbst“, schwärmt er, „es ist ein phantastisches Erlebnis”. Man hat Traumplätze und vor allem: seine Ruhe. Kein Knistern von Chipstüten, keine blöden Blicke, wenn Küsse sehr leidenschaftlich werden. Jens grinst spitzbübisch und widmet sich wieder seiner Liebsten. Das Radio auf Frequenz 91,0 einstellen. Zurücklehnen. Gemeinsam schwelgen. Zwischen die beiden passt auf der durchgehenden vorderen Sitzbank des weißen Dogdes kein Blatt Papier. Ein alter US-Schlitten. Was auch sonst. Oh, wie schön ist Autokino…
Alphaltcowboy-Romantik mit Kuschelgarantie
Hinter dem Kinoplatz, das weiß man aus amerikanischen Filmen und Songs, beginnt die Prärie. Das ist hier in Schönefeld nicht anders als in Colorado. Und wenn die Sonne untergeht, werden die Projektoren auf den schwarzen Lkws angeworfen und Blockbuster gespielt – vorausgesetzt, es stürmt nicht zu heftig. Der „Airscreen“, die aufblasbare Leinwand, darf nur bis Windstärke 4 hochgefahren werden. Heute findet in der hintersten Reihe, in der sogenannten „Lovers Lane“ zwischen Arnold Schwarzeneggers Rettung der Welt und der nächsten Runde Burger die Liebe ihr ganz exklusives Plätzchen.
Hier knistert nicht nur die Popcorn-Tüte…
Im Freien lebt das große Kino auf zwei Ebenen. Vorne auf der Leinwand spielt es den Film. Und hinter den Windschutzscheiben folgt der Abend dem eigenen Script: Ob Popcornparty oder Zärtlichkeiten – es hat etwas Prickelndes, an einem öffentlichen Ort und gleichzeitig ganz für sich zu sein.
Hannes, 26, und Kathleen, 29, sind sogar den langen Weg aus Bad Freienwalde an der polnischen Grenze hierher nach Schönefeld gekommen: „Das mussten wir mal erleben“. Die beiden sind unübersehbar sehr frisch verliebt – und dass sie am Ende vom Film „nicht besonders viel“ mitbekommen haben, stört sie nicht, wie sie nach der Vorführung mit breitem Grinsen feststellen…
Alte Schlitten, neue Liebe
Niemand weiß, wie viele in Amerika, dem Heimatland des Drive-In, ihre Existenz einer lauschigen Nacht im Autokino verdanken. Fakt ist: Das Drive-in-Lichtspielhaus war in Zeiten vor Facebook und Tinder DIE Flirt-Plattform schlechthin – und ist dort heute wie in Deutschland fast ausgestorben. Gab es hierzulande in den sechziger Jahren noch über 40 Autokinos, sind es heute nur noch ein knappes Dutzend. Aber die Fans sind ihm treu geblieben: Neben den vielen jungen Paaren, die das Vergnügen gerade erst für sich entdecken, gibt es eine eingeschworene Gemeinde, die die nostalgische Leidenschaft für schöne alte Schlitten und Leinwandromantik teilt: Der „Mopars&Coffee“-Club schwärmt regelmäßig per Autokorso nach Schönefeld aus – und feiert dort Sommernächte standesgemäß mit Filmklassikern und dem perfekten Soundtrack: dem Röhren der alten V-Motoren.
„Es gibt einige, die in zweiter oder sogar schon dritter Generation treue Besucher sind“, weiß Daniela Woite, die sich mit ihrem Lebensgefährten Carsten Tag wie Nacht hingebungvoll darum kümmert, dass der Laden läuft.
Udo, 48, und seine große Liebe Dana, 46, sind schon seit 26 Jahren verheiratet. Als die Kinder aus dem Haus waren, haben sie die Chance ergriffen, Ihre Beziehung auf ganz neue, herrlich unvernünftige Beine zu stellen: Sie kauften sich kurzerhand einen knallroten Ford Mustang, Baujahr 54. Strahlend sitzt Dana im Fifties-Polka-Dot-Putz auf dem Sozius: „Wir sind bestimmt zweimal im Monat hier und genießen die neue, aufregende Atmosphäre miteinander.“
Projektionsfläche für Sehnsüchte und Herzenswünsche
Die Macht der emotionalen Kulisse wusste auch Patrick, 23, zu nutzen, um seinem Herzen Luft zu machen: Zwischen Werbespots und Hauptfilm flimmern über die riesige Leinwand plötzlich Bilder von ihm und seiner Liebsten. Katja, 20, traut ihren Augen kaum. Als sein Heiratsantrag unter freiem Himmel folgt, brechen alle Dämme: Feuchte Augen bei den Kinobesuchern. Und Katja? Einige Schrecksekunden lang ist die blonde Schönheit sprachlos, überwältigt von ihren Gefühlen. Bis ihr schließlich beseelt lachend die richtige Antwort einfällt. Die schönsten (Liebes-) Geschichten schreibt eben immer noch das Leben…