Social Bettwork: Mein Dating-Marathon mit Tinder und Co.

Das Kennenlernen ist nicht mehr das, was es vor zehn oder zwanzig Jahren noch war. Autor Jonas Grünanger erzählt von seiner Dating-Reise durch ganz Europa. Ein Buchauszug

In diesem Buch begibt sich Jonas Grünanger auf eine ganz besondere Reise. Von Hamburg über Leipzig bis München, von Bukarest bis Stockholm bereist der Redakteur Europas Metropolen, um vor allem eines zu tun: attraktive Frauen aufspüren und daten, was das Zeug hält! Seine kuriosen Erfahrungen hat er für dieses Buch in lustigen Anekdoten zusammengefasst.

36 Fragen zum Schafott

Gelinde gesagt, ist meine Idee brillant. Damit könnte ich zum glücklichsten Mann der Welt werden. Ihr habt doch sicher schon von den 36 Fragen zum Verlieben gehört, oder? Der Wissenschaftler Arthur Aron von der State University of New York hat 1997 eine Übung entwickelt, die die Chance, dass man sich ineinander verknallt, massiv erhöhen soll. Die Universitätsdozentin Mandy Len Catron spielte diesen Test 2014 nach und verliebte sich dabei umgehend und unbeabsichtigt in einen entfernten Bekannten. Ihre Geschichte erschien am 9. Januar 2015 in der New York Times. Weltweit griffen die Medien die Story auf und stellten den Test online.

So geht’s, zu berücksichtigen sind folgende Regeln: Die Gesprächspartner müssen sich gegenseitig 36 Fragen in knapp 90 Minuten beantworten. Anschließend noch ein vierminütiger tiefer Blick in die Augen des Gegenübers. Danach ist man verliebt. Wahrscheinlich. Eventuell. Nicht, weil man zusammenpasst, sondern weil man sich gegenseitig das Herz geöffnet und Dinge besprochen hat, die man so normalerweise erst nach Monaten vom anderen erfährt.

Ich setze alles auf eine Karte und schicke Lara aus Leipzig eine Whats-App. Ob sie nicht Lust habe, dieses Spiel mit mir zu spielen. Wir sind immer noch lose in Kontakt, weil ich mit allen Mitteln versuche, den Dialog aufrechtzuerhalten. Zuerst versteht sie nicht ganz, was sie mit dem Link, den ich ihr geschickt habe, anfangen soll, aber dann findet sie das Spiel lustig. Zu meiner Überraschung möchte sie sogar zu mir nach Berlin kommen. Sie fragt, ob es mir was ausmacht, wenn sie bei mir schlafen würde. Ich kann es nicht fassen. Jetzt, nachdem ich schon fast alle Hoffnung habe fahren lassen, keimt es wieder, das zarte Pflänzchen Träumerei. Bloß nicht überdüngen …

Zwei Tage lang habe ich meine Wohnung geputzt, jedes Staubkörnchen gefangen, jede Fluse ward vernichtet, jeder Fleck totgewischt. Es strahlt und glänzt, es blitzt und leuchtet. Der Kühlschrank ist voll, das Bett frisch bezogen, das Bad entkeimt. Ich fühle mich jetzt richtig sicher, dennoch wackeln meine Knie, als ich sie vom Bahnhof abhole. Fast drei Monate haben wir uns nicht mehr gesehen. Positiv betrachtet: Wir haben das Happy End herausgezögert, wo es nur ging. Negativ betrachtet: Wie viele Seiten hat dieses Buch noch? Ihr glaubt ja wohl nicht, dass ich jetzt unsere Zusammenkunft auf 150 Seiten episch ausbreite. Keine Sorge, das wird nicht passieren, denn unser Treffen wird im Vollfiasko enden. Ach was, schlimmer, es wird ein absurd-apokalyptischer Super-GAU, das Tschernobyl der Liebe. Ein Tsunami der Hoffnungslosigkeit wird meine Seele hinfortspülen, der Himmel über mir zusammenbrechen und mein Herz ans Kreuz genagelt werden. Aber der Reihe nach.

Sie mag meine Wohnung und sie mag meine Spaghetti (Rezept von Mutti), sie mag meinen Monkey 47, sie mag meinen Weißwein und sie mag mich. Dann machen wir den Test. Nur keine 90 Minuten, sondern ganze fünf Stunden beantworten wir Fragen aus unserem Leben.

Zum Beispiel:
• Welche drei Gemeinsamkeiten haben Sie beide? (Frage 8)
• Wie beurteilen Sie die Beziehung zu Ihrer Mutter? (Frage 24)
• Wann haben Sie das letzte Mal geweint? (Frage 30)

Und auch das Vier-Minuten-in-die-Augen-Gucken toppen wir. 6,27 Minuten zeigt die Stoppuhr, als wir fertig sind. Dann küssen wir uns. Nicht lange, aber sagen wir zehnmal so lang wie beim letzten Mal. Dann geht sie ins Bett und ich aufs Sofa. Freiwillig. Ich bin glücklich, entspannt und habe überhaupt keine Eile. In der Ruhe liegt die Kraft. Ich will keinen One-Night-Stand – ich will Ewigkeit.

Der nächste Tag! Frühstück im Bett, leichtes Kuscheln, ausgedehnter Spaziergang. Kaffee in der Frühlingssonne. Dann bin ich auf einen Empfang geladen, auf den ich sie mitnehme. Ein Freund begrüßt uns und stellt uns einen Unternehmer vor. Vielleicht Anfang 50, gut gekleidet, sehr charismatisch. Ein Selfmade-Millionär auf der Suche nach neuen Investitionen. So sympathisch er ist, so sehr irritiert mich, wie er meine Begleitung anstarrt. Knapp zehn Minuten dauert die Begegnung, dann noch etwas Small Talk hier und da und tschüss. Anschließend in meine Lieblingsbar, abschließend auf mein Sofa und beim Fernsehgucken Arm in Arm eingeschlafen. Also, ich finde das romantisch.

Mitten in der Nacht erwacht Lara und geht rüber ins Schlafzimmer. Ich bleib eisenhart liegen, obwohl sie mir anbietet mitzukommen. Ich bin glücklich, entspannt und habe überhaupt keine Eile. In der Ruhe liegt die Kraft.

Der nächste Morgen: Frühstück im Bett. Mittelheftiges Kuscheln. Dann bringe ich sie schweren Herzens zum Bahnhof. Auf Wiedersehen. Hoffentlich dauert es keine drei Monate bis zum nächsten Mal. Ganz bestimmt nicht. Küsschen und weg ist sie.

Überprüfung der Gefühle: Es hat sich nichts geändert. Mein Zustand ist nach wie vor verknallt und sie ist leider immer noch nicht hundertprozentig überzeugt und vorsichtig distanziert. Mein Bauch verweigert leider positive Rückmeldungen. Ich hänge absolut in der Schwebe. Kenn ich ja schon bei ihr.

Der Psychotest war einfach für den Arsch, obwohl ich brav alles wahrheitsgemäß beantwortet habe. Den Beweis für die Unbrauchbarkeit der 36 Fragen liefert Lara am nächsten Tag. Auf den Vorschlag eines Gegenbesuchs meinerseits am kommenden Wochenende reagiert sie ablehnend. Keine Zeit, schon verplant. Hätte sie das früher gewusst.

Sorry, du!

Alternativvorschläge macht sie keine.

O. k., wird Zeit, den Kopf freibekommen.

©riva Verlag

Ein Interview mit dem Autor Jonas Grünanger über Tinder und Dating lesen Sie hier.

Jonas Grünanger
Social Bettwork – Mein Dating-Marathon mit Tinder und Co.
ISBN: 978-3-86883-699-8
Verlag: Riva


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