Gastautorin Nicola Stefan über die drei Regeln des Stillens, die garantiert nicht von Stillenden aufgestellt wurden
Stillen ist in Mode. So sehr, dass es nun auch auf dem Cover eines großen Modemagazins zu sehen ist. Die australische Elle zeigt in ihrer Juni-Ausgabe das Model Nicole Trunfio beim Stillen ihres Sohnes Zion und löste damit eine weitere Still-Debatte aus. Oft lautet das Ergebnis: „Stillen ja! Aber bitte so, dass wir es nicht sehen müssen.“
Im Grunde sind sich alle Mütter, Nicht-Mütter, Experten und Nicht-Experten einig: Stillen ist ausschließlich gut für unsere Kinder. Es stärkt das Immunsystem, schützt vor Krankheiten und Allergien, transportiert wichtige Nährstoffe und fördert laut einigen Studien nicht nur die geistige Entwicklung sondern sogar die psychische Gesundheit eines Menschen.
Regel #1: Mütter, stillt!
Während in der Generation unserer Mütter und Großmütter viel eher und viel öfter zur Milchflasche geraten wurde, herrscht heute ein starkes und weiter wachsendes Bewusstsein für die auf so vielen Ebenen positiv wirkende Kraft des Stillens. Das ist natürlich gut so. Denn genau dieses Bewusstsein hat dazu geführt, dass Mütter heute wieder viel öfter eine unkomplizierte, schöne Stillbeziehung zu ihren Kindern aufbauen können. Nicht zuletzt aufgrund der großartigen Unterstützung von Hebammen und Stillberaterinnen.
Doch wie in vielen Bereichen der modernen Kindererziehung wird auch der Kampf für das Stillen immer starrer und erbarmungsloser geführt. Immer öfter gilt: Wenn du nicht stillst, tust du nicht das Beste für dein Kind. Und wenn du es nicht schaffst, zu stillen, hast du bereits in dem allerersten, bedeutendsten Punkt der Kindererziehung versagt. Ein Druck, den viele Frauen verspüren und der den Berg an Unsicherheiten, der sich im Leben einer Mutter ohnehin aufbaut, noch ein bisschen größer macht.
Regel #2: Aber bitte nur im Stillen
Wer eine gute Mutter sein will, muss also Stillen. Wer diese erste Regel erfolgreich eingehalten hat, stößt auch gleich auf ein paar weitere. Denn so natürlich und selbstverständlich das Stillen für Mütter auch sein muss, so wenig natürlich und selbstverständlich wird oft vom Rest der Welt damit umgegangen. Immer noch fühlen sich Menschen gestört, angeekelt, peinlich berührt oder auch provoziert von dem Anblick eines Säuglings an der (unvermeidlich) nackten Brust der Mutter.
Noch immer ist nicht allen Leuten bewusst, dass sich eine Frau weder aus Spaß, noch aus Selbstdarstellungsdrang oder fehlendem Schamgefühl dafür entscheidet, diesen intimen Moment mit ihrem Baby mit fremden Menschen zu teilen. Und noch immer scheint es für viele nicht nachvollziehbar zu sein, dass man auch als Mutter eines Säuglings, der vielleicht alle drei Stunden, vielleicht aber auch jede Stunde Hunger und das Bedürfnis nach Nähe hat, das Haus verlassen, einkaufen oder sogar in ein Café gehen möchte und trotzdem immer und überall eines an erster Stelle steht und stehen muss: das Wohlergehen des Kindes.
Regel #3: Und bitte nur, solange WIR wollen
Aber Gott sei Dank hat sich ja bereits vieles geändert. Wir haben uns geändert. Immer mehr stillende Mütter sowie deren Partner, Familien und Freunde sorgen dafür, dass das Stillen in der Öffentlichkeit nach und nach ein wenig selbstverständlicher wird. Zumindest solange eine dritte Regel eingehalten wird: Babys stillen, ja! Bis zu einem Alter von etwa sechs Monaten. Denn alles, was gar über das erste Lebensjahr hinausgeht, ist der Öffentlichkeit wirklich nicht mehr zuzumuten. Wörter wie „abartig“, „ekelhaft“ und sogar „pervers“ fallen in diesem Zusammenhang gar nicht selten als Kommentar.
Während wir also in den ersten Lebensmonaten unserer Kinder sagen können sollten, dass wir stillen, ist es ab vollendetem ersten Lebensjahr oft besser, wir verschweigen es. Wo genau die Abartigkeitsgrenze für die meisten Menschen liegt, lässt sich schwer sagen. Nur so viel: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt begleitendes Stillen bis zu einem Alter von zwei Jahren und darüber hinaus.
Mehr Normalität durch stillende Models?
Stillen ist also vielleicht in Mode, aber bestimmt nicht so selbstverständlich, wie es sich viele Frauen wünschen würden. Die Elle veröffentlichte ihre Juni-Ausgabe angeblich mit dem Ziel, Stillen in der Öffentlichkeit zu „normalisieren“. Die Frage ist allerdings, wie „normal“ das höchstwahrscheinlich bearbeitete Bild eines von Kopf bis Fuß gestylten Supermodels in einem Burberry-Ledermantel mit Baby an der Brust in unserer Realität ankommen kann. Hilft uns dieses Cover tatsächlich, uns als stillende, höchstwahrscheinlich übermüdete und bestimmt weniger gestylte Mütter besser in unserer Haut zu fühlen? Wahrscheinlich nicht. Andererseits: Als Demi Moore im Jahr 1991 als erste berühmte Frau ihren schwangeren Bauch auf dem Cover von Vanity Fair präsentierte, löste auch das heftige Diskussionen aus. Und es ermutige viele Celebrities und Nicht-Celebrities, es ihr gleich zu tun.
Vielleicht hat die australische Elle also tatsächlich etwas für das Stillen in der Öffentlichkeit getan. Schade ist jedoch, dass das Magazin die stillende Trunfio nur auf der Ausgabe für Abonnenten zeigt. Das Cover, das in den Läden zu sehen ist, zeigt das Model in einem braven, schwarzen Prada-Kleid. Der Grund laut Elle-Chefin Justine Cullen: Die Ausgabe hätte sich mit dem Still-Cover womöglich schlecht verkaufen lassen.
Ein von ELLE Australia (@elleaus) gepostetes Foto am