Immer wieder höre ich in der Praxis den Vorwurf: “Wir sprechen nicht mehr miteinander. Wir lieben uns, aber ich vermisse die gemeinsamen Gespräche. Wenn ich mit ihm mal nicht nur über Alltägliches sprechen möchte, sondern darüber, wie es uns geht, dann macht er sofort zu.”
Dass ein Partner mehr und häufiger sprechen möchte, ist normal. Es ist sogar eher sehr ungewöhnlich, wenn beide Partner in ihrem Bedürfnis nach Austausch ganz gleich ticken. Ob es zum Konflikt dadurch kommt, ist vor allem davon abhängig, wie bedrohlich die Partner diesen Unterschied erleben. Denn das große Problem dahinter ist natürlich: Partner, die nicht miteinander sprechen, die können auch ihre Konflikte nicht lösen.
Er macht zu, wenn ich reden will
Die Rollenverteilung ist keine Frage des Geschlechts , sondern eine der Persönlichkeit. Vor allem begründen frühere Erfahrungen mit Verlust und mit Streit die Reaktion auf einen drohenden Konflikt: Manche Partner haben früh gelernt, dass jeder Konflikt oder Streit schlecht sei und zum Beziehungsaus führen kann. Deshalb bemühen sie sich grundsätzlich um Harmonie und vermeiden Auseinandersetzungen. Manchmal fressen sie den Frust so lange in sich hinein, bis sie sich nicht mehr unter Kontrolle haben und dann besonders unfair und abwertend werden. Dies ist aber grundsätzlich zunächst ein Fluchtverhalten, das dann in Angriff umschwenkt, wenn sie die Wand am Rücken spüren.
Umgekehrt ist der Partner, der das Gespräch sucht, oft der Überzeugung, es müsse alles raus, was stört und es gäbe für jeden Konflikt schon eine Lösung, sie müsse nur gefunden werden. Am besten sofort. Er ist dann eher im Angriffsmodus, auch wenn er sein Verhalten nicht so bezeichnen würde. Legitimiert wird dieses, weil ja doch bekannt ist: Ihr müsst darüber sprechen.
Nur ein Drittel aller Konflikte sind lösbar
Zwei Drittel aller Paarkonflikte sind nicht durch einen Kompromiss lösbar, der beide Partner gleichermaßen zufrieden stellen kann. Auf Dauer zerstören nicht nur faule Kompromisse, sondern auch das Zerreden solcher Konflikte die Beziehungszufriedenheit. Denn die Partner arbeiten sich aneinander ab. Sie werten einander ab. Sie gelangen immer mehr zur Überzeugung: Wir passen nicht zueinander. Das frustriert und sorgt für Stress. Es entsteht häufig nun eine Forderung-Rückzugs-Dynamik, die beide Partner sehr belastet. Ein Partner “greift” immerzu an, der andere Partner “macht immer mehr dicht”: Er macht direkt zu.
Sie möchte über ihre Beziehung und ihre Gefühle sprechen, aber er blockt ab und zieht sich zurück, ist natürlich ein Klischee. Aber eines, in dem auch viel Wahrheit steckt. Denn diese Forderungs-Rückzugs-Dynamik, wenn also einer häufiger Gespräche initiieren möchte als der andere und dieser sich stattdessen lieber hinter einer Mauer des Schweigens verschanzt, die gibt es tatsächlich häufig. Verschanzen können sich natürlich auch Frauen, ich bleibe aber bei dem Klischee, denn bei dem Paar, von dem ich erzählen möchte, war es genau so.
Sie fühlte sich schon eine Weile nicht mehr wirklich beachtet, nicht mehr wahrgenommen. Sie fühlte sich eher als ein Inventarstück als eine Partnerin. Sie belastete das sehr, er schien das gar nicht mitzubekommen. Sie versuchte auch immer wieder, ihre Gedanken mit ihm zu teilen. Und das ganz und gar nicht als Angriff, sondern immer aus ihrer Perspektive gesprochen, ohne Vorwürfe. Aber sie kam bei ihm nicht durch. Und was machen Menschen notgedrungen, die sich nicht gehört fühlen? Sie werden lauter. Und sie werden drängender. Und sie werden verzweifelter. Da ist die geliebte Person neben ihnen, aber sie spricht nicht mit ihnen.