Taten sagen mehr als Worte, behauptet man. Bei unserer anonymen Leserin war das ganz anders: Er zeigte ihr durch Aufmerksamkeit und Geschenke seine Liebe. Doch seine Worte sprachen oft eine andere Sprache. Eine, die den beiden jegliche Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft verbaute
Sein Lächeln, dieses verschmitzte Grinsen, der freche Gesichtsausdruck. Ich werde es niemals vergessen. Noch immer hängt ein Teil meines Herzens an ihm. Doch es ist nur noch ein Bruchteil, denn den Großteil hat er zerstört durch all die Sätze, die er mir entgegenwarf. Die Beleidigungen. Die Vorwürfe. Die Respektlosigkeiten. All die Gemeinheiten, die mich klein machten. Doch heute bin ich wieder in meiner alten Größe. Bin auferstanden und weiß nun, was mir nie wieder passieren wird, was ich nie wieder zulassen werde.
Es begann so traumhaft. Gemeinsame Freunde stellten uns einander vor, denn sie ahnten, wie gut wir zueinander passen würden. Beide mit tiefschwarzem Humor. Einem Faible für Design und Interieur-Themen. Vegetarier, die mit Veganismus liebäugelten, sich aber nicht vom Camembert trennen wollten. Kreative in Agenturen, die Verständnis hatten, wenn der Feierabend und das gemeinsame Abendessen in weite Ferne rückten, weil ein Kunde einen Notfall hatte oder noch ein Pitch vorbereitet werden musste. Die ihren Freiraum genauso brauchten wie ausgiebige Kuschelabende. Kurzum: Mein Leben schien perfekt mit diesem Mann an meiner Seite, der mich so gut kannte wie ich mich manchmal selbst nicht. Er las mir alle Wünsche von den Augen ab. Stress im Job? Er gönnte mir abends eine Massage. Bad Hair Day? Er überschüttete mich mit Komplimenten, bis ich mich fühlte wie eine Halbgöttin.
Was ich lange nicht sah, nicht sehen wollte: In ihm schlummerte eine dunkle Seite. Eine, die andere mit Füßen trat, die menschenverachtend und gemein war. Sie zeigte sich zum ersten Mal, als wir an einem Spielplatz vorbeigingen und eine Schar Grundschüler einem Klassenkameraden die Mütze geklaut hatte. Sie kickten seine Kopfbedeckung quer durch den Park, warfen sie über ihn hinweg – in die Arme meines Freundes. Und was tat er? Er streckte seinen Arm aus und hielt die Mütze weit in den Himmel. Vor ihm stand der kleine Junge, den Tränen nahe. Und er gab sie nicht etwa ihm zurück, nein, er warf sie im hohen Bogen ins Gebüsch und schrie: „Hol sie dir!“ Ich war verdattert. Seine lapidare Begründung: „So ist das Leben. Je eher der Knirps merkt, dass das Leben hart ist und lernt, sich zu wehren, desto besser.“ Ich tat diese Episode ab. Aber es folgten weitere, kleine Begegnungen, etwa mit Kellnern, die er fast wie Sklaven behandelte.
Und irgendwann war ich dann auch dran.