Warum texten wir so viel, aber sprechen kaum noch miteinander?

Unsere anonyme Leserin schildert ihre Erfahrungen mit einer Dating-App. Von Männern, die nur das Eine wollen, und dem Trend beider Geschlechter, viel zu texten, aber immer seltener miteinander ins Gespräch zu kommen

Ich hatte vor ein paar Monaten mein erstes Mal. Ich habe mich wirklich getraut. Smartphone in die Rechte, im Store nach einer beliebten Dating-App gesucht und sie tapfer und beherzt heruntergeladen: 8%, 29%, 52%, 79%, und schon eröffnete sich mir eine ganz neue Welt.

Mir war vorher das ganze Thema Online-Dating immer etwas suspekt gewesen, auch wenn mir meine Mädels von witzigen, spannenden und manchmal sogar richtig guten Geschichten erzählt hatten. Jetzt gehörte ich also auch zum Kreis derjenigen, die „es mal online versuchen“.

Was hatte ich schon zu verlieren, dachte ich mir, ich konnte doch nur gewinnen.

Einfach mal schauen. Abends, wenn mir langweilig war und ich nichts zu tun hatte, etwas „wischen“. Ein paar nette Chats, vielleicht sogar ein Flirt oder nette Kontakte. Dates …

Ich war naiv.

Ich hatte zwei falsche Überzeugungen: Zum einen dachte ich, ich könnte diese App wirklich einfach nur gelegentlich zum Zeitvertreib nutzen. Zum anderen dachte ich, die anderen – die Männer –, würden überwiegend zivilisiert sein, wie es die meisten von ihnen auf offener Straße ja auch sind. Weit gefehlt.

Erst wurde ich süchtig (ähnlich wie damals, als FB noch ganz neu war), was vor allem an der überwältigenden „Bestätigung“ lag, die ich dort erhielt: Nach wenigen Tagen hatte ich Matches in dreistelliger Höhe, und praktisch ununterbrochen erhielt ich Nachrichten von fremden Männern, deren Profile ich immerhin sehr attraktiv fand. Klar schmeichelte das meinem Ego.

Bald ertappte ich mich dabei, dass ich genauso viel oder sogar noch mehr Zeit in dieser App verbrachte, wie ich mit Freunden unterwegs war. Ich wartete auf Komplimente, auf Bestätigung – obwohl ich vorher nichts von all dem erwartet hatte und ich im Kopf ja zu jedem Zeitpunkt wusste: Das sind Komplimente von Wildfremden, die sie dir vor allem aus Eigennutz schicken, nicht weil sie dir einfach so eine Freude machen wollen.

Ich war also süchtig, und das, obwohl sich die Mehrzahl der Männer dort benahm, als könnten sie das Wort „gute Kinderstube“ nicht buchstabieren. Zu meinen Erlebnissen gehören:

Plötzliche Kontaktabbrüche, obwohl man eine gute Unterhaltung hatte.

Plötzliche Kontaktabbrüche, obwohl man gerade ein Treffen vereinbart hatte.

Haufenweise Fragezeichen, nur weil ich mal nicht innerhalb einer Stunde geantwortet hatte.

Beleidigungen, weil ich ihm mitgeteilt hatte, dass ich mir leider kein Treffen mit ihm vorstellen könne.

Sexistische Anmachen, die sich nicht einmal ein betrunkener Kerl in einem Schmuddelclub getraut hätte.

Angebote zum Sex, für den er mich dann bezahlen wollte (das niedrigste Angebot lag übrigens bei 25 Euro, das höchste bei 200).

Angebote zu Treffen „mit ihm und seinen Freunden im Hotel“.


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