Unsere Autorin hat Verständnis für Traditionen – würde den Antrag aber lieber selbst machen, als die Emanzipation der Frau mit Füßen zu treten
Meine Freundinnen führen unterschiedliche Liebesleben. Während eine mittlerweile verheiratet, eine frisch vergeben, eine Single und eine in einer nervenraubenden On-Off-Beziehung ist, hat sich die Letzte im Bunde gerade verlobt. So richtig märchenhaft war das allerdings nicht. Denn als sie ihn nach dem Ja mit großen, tränenfeuchten Augen anstrahlte und fragte „Und was haben meine Eltern gesagt?!“ – da fiel ihm nichts Besseres ein als „Hä?“
In Wahrheit hatte er nämlich nicht mal in Erwägung gezogen, bei seinen Schwiegereltern in spe um die Hand ihrer Tochter anzuhalten. Schließlich war seine Zukünftige eine emanzipierte Frau und dieser Uralt-Brauch doch eh längst überholt. Dass Sarah das womöglich etwas anders sah, kam ihm überhaupt nicht in den Sinn. Bis zu dem Moment, als der Zauber des Antrags auf einen Schlag verrauchte. Sarah war gleichzeitig glücklich und enttäuscht. Weil sie fand, dass das doch irgendwie dazugehört. Und weil sie glaubte, ihre Eltern hätten es so gewollt.
„Wir sind doch nicht mehr im Mittelalter“
Und so saß sie wenige Tage später zwischen uns anderen Frauen Anfang dreißig und schüttete ihr Herz aus. Natürlich sei sie prinzipiell für eine gleichberechtigte Partnerschaft und all das, aber so ein bisschen Tradition und Romantik – könne man das rund um die Hochzeit nicht erwarten, wenn’s einer ernst mit einem meint? Natürlich entfachte diese Ansicht in unserer Runde augenblicklich eine große Diskussion. Über das rituelle Drum und Dran bei einer Hochzeit und die Frage, ob eine auf allen Ebenen selbstständige Frau diese Form der Objektifizierung wirklich braucht. „Aha, und im Tausch gegen dich bekommen deine Eltern acht Kamele, oder was?“ – Marie war wütend und schwang die Feminismus-Keule. „Du gehörst denen doch nicht mehr als dein Bruder. Warum sollten sie die Zukunft ihrer Tochter freigeben müssen?“ Und auch Eva stieg jetzt ein: „Das ist doch irgendwie, als würde man über einen Sack Getreide verhandeln. Wir sind doch nicht mehr im Mittelalter, Sarah.“
Wo die Liebe hinfällt – können die Eltern eh nix tun
Ein bisschen tat Sarah mir leid in diesem Schwall der Anti-Reaktionen. Glücklich sei sie natürlich dennoch über den Antrag und letztlich alles halb so wild, besänftigte sie die Gemüter. Dass Sarahs ansonsten wirklich großartiger Langzeitfreund ihre Einstellung zum Thema Hochzeitstraditionen nicht kannte, war vielleicht zu wenig Kommunikation im Vorfeld geschuldet, vielleicht auch einfach Pech.