Oskar hat sich sofort in Paula verliebt, Paula jedoch nicht in Oskar. Sie schätzt ihn als Kollegen und als Mensch, mehr nicht. Birgit Ehrenberg über einen Fall von Liebeswahnsinn
Eben im Fahrstuhl hat sie ihn wieder angelächelt, nicht nur das, angezwinkert sogar. Oskar hat das genau registriert. Er führt innerlich Buch darüber, wie oft ihm Paula Aufmerksamkeit schenkt. Er führt natürlich keine richtige Liste, er ist ja schließlich nicht verrückt, sagt er. Er kriegt es einfach mit, wenn Paula mit ihm flirtet. Flirten, so nennt er es, wenn Paula auf ihn reagiert. Für Paula ist das „Flirten“ eine harmlose Freundlichkeit. Und Oskar fragt sich: Ist sie in mich verliebt? Paula und Oskar arbeiten seit zwei Jahren zusammen in einer Werbeagentur. Oskar hat sich sofort in Paula verliebt, Paula jedoch nicht in Oskar. Sie ist Single, sie will es bleiben. Sie schätzt Oskar als Kollegen und als Mensch, mehr nicht. Sie geht in keiner Weise auf sein Werben ein. Jeder denkt, dass Oskar sich hier total verrennt; er will es nicht wahrhaben. Er ist kein Stalker, er tritt Paula nicht zu nahe, er verehrt sie viel zu sehr, um ihr auf die Nerven zu gehen. Aber er steht Gewehr bei Fuß, er hofft und hofft und hat sich darauf versteift, dass Paula die richtige Frau für ihn ist – und er der richtige Mann für Paula. Sie wird das früher oder später erkennen, denkt Oskar, es ist eine Frage der Zeit. Seine Freunde glauben, dass er unter Liebeswahn leidet und machen sich große Sorgen um ihn.
Ist Liebe alles, was man dafür hält?
„Ich verstehe nicht, warum mein Umfeld an meinem Verstand zweifelt“, sagt Oskar, und während er das sagt, macht er in der Tat den Eindruck eines Menschen, der bei klarem Verstand ist, ruhig und gefasst, zielstrebig. „Mich hat es schon immer gestört, wenn in der Liebe alles nach Plan gehen muss, wenn festgelegt ist, wann was Liebe ist – und wann nicht. Ich weiß, dass in jedem Psycho-Ratgeber steht, dass eine seelische Störung dahintersteckt, wenn man eine unglückliche Liebe nicht abhaken kann, wenn man nicht loslassen kann, wenn man nicht akzeptiert, dass der andere oder die andere einen nicht will. Das ist mir zu theoretisch, das geht aus meiner Sicht am Leben vorbei. Ich bin absolut dagegen, jede Art von Abweichung von diesem als „normal“ deklarierten Liebesverhalten als pathologisch zu klassifizieren. Liebe hat keine Regeln, das ist doch das Wesen der Liebe. Was sonst? Liebe ist keine Gleichung, wo etwas aufgeht, Liebe ist ein Wagnis! Ich habe das Gefühl, dass es bei Paula noch einmal „Klick“ machen wird. Ich riskiere es, darauf zu setzen. Ich habe nie zuvor eine Frau getroffen, bei der ich derart das Gefühl hatte, dass ich mein Leben mit ihr verbringen möchte. Ich bin 32 Jahre alt, ich habe Zeit, ich kann warten. Ich glaube fest daran, dass Paula und ich noch zusammenkommen.“