Niemand glaubte ihr, dass der charmante Mann an ihrer Seite zuhause ein berechnender Narzisst war. Doch unsere anonyme beziehungsweise-Leserin konnte sich aus ihrer emotionalen Abhängigkeit lösen und will anderen Betroffenen aufzeigen, dass es einen Ausweg gibt
Was war das bloß? Wie konnte das alles ausgerechnet mir passieren? Wo ich doch das Selbstbild von mir hatte, eine unabhängige, starke und emphatische Frau zu sein? Ich in einer (verbalen) Gewaltbeziehung? Niemals! Doch. Es ist mir tatsächlich widerfahren. Schleichend, aber gut durchdacht, strategisch perfekt.
Mein über alles geliebter Mann, den ich schon damals, vor über zwanzig Jahren, liebte und der mich verlassen hatte, um eine andere Frau zu heiraten und mit ihr eine Familie zu gründen, war wieder in meinem Leben. Er war damals meine erste große Liebe gewesen.
Schließlich treffe ich ihn wieder und wir sind endlich vereint. Es tat ihm alles so leid. Er war damals nicht so weit – er konnte damals meine Liebe nicht erwidern. Aber jetzt kann er es. Schließlich war ich schon immer seine Traumfrau.
Er verlässt seine Frau (er sagte, nicht wegen mir, sondern weil er sich mit seiner Frau „auseinandergelebt“ habe), lässt sich scheiden und wir beziehen eine gemeinsame Wohnung. Zum Glück haben wir nicht geheiratet.
Ich war die glücklichste Frau der Welt, bin mit über vierzig zum ersten Mal mit einem Mann zusammengezogen, denn ich war mir sicher, dass wir zusammen alt werden. Bis an das Ende unserer Tage.
Die anfängliche Zeit war wunderschön. Endlich war ich angekommen. Diese Phase dauerte nur wenige Monate an, bis er immer öfter geschäftlich unterwegs war. Jegliche Gespräche meinerseits wurden immer mehr abgeblockt oder aber, er ging einfach und kam irgendwann wieder.
Mein Partner hatte zwei Seiten
Ihm ging es in den Jahren unseres Zusammenlebens zusehends besser, er wurde erfolgreicher und alle liebten diesen charmanten, einfühlsamen und charismatischen Mann. Von der Bäckerei nebenan bis zu meinen Freunden und meiner Familie.
Langsam, aber sicher wandten sich Freunde von mir ab, weil sie mir nicht glaubten, dass so ein toller Mann so gemein sein konnte. Es gab keine Zeugen! Meine Kontakte versiegten und ich war zuhause isoliert und wartete auf ihn. Ich wartete und wartete. Immer bereit, mein Bestes zu geben, wenn er dann mal da war.
Mein Kind liebte ihn als den neu gewonnenen „Leihpapa” (so nannte er sich selbst) und er fing an, mich vor meinem Kind schlecht zu machen, meine Erziehungsmethoden in Frage zu stellen und seine Ex-Frau mit mir zu vergleichen. Denn sie war die perfekte Mutter und Ehefrau – ganz im Gegensatz zu mir.
Alkohol kam dazu und, um die Gespräche auszuhalten, auch ich trank. Es wurde zur Gewohnheit und wir waren über Jahre hinweg bei einer Flasche Wein pro Person – an jedem Abend der Woche. Ich trank den Wein irgendwann auch dann, wenn er nicht da war.
Der Alkohol verstärkte das Dilemma und zu sprachlicher Gewalt kam zwischendurch auch der körperliche Ausbruch. Nicht oft, aber es passierte.
Er manipulierte und erniedrigte mich ständig
Viel schlimmer waren die Gespräche, die Manipulationen, die Erniedrigungen und der permanente Vorwurf, dass ich an allem schuld sei. Egal, was und wie etwas besprochen wurde: Es war immer ich, die eine Wahrnehmungsverzerrung hatte und angeblich aggressiv war.
Er warf mir vor, dass ich mich immer zum Opfer mache und damit keine Verantwortung übernehme. Bis ich es selbst glaubte.
Ihm ging es blendend. Er hatte beruflichen Erfolg, hatte ein Netzwerk an Frauen, die er sich nahm, wenn er sie brauchte, seine Ex-Frau, seine Kinder und seine Familie waren harmonisch mit ihm (schließlich war er nun der Sugardaddy, der tolle Sachen am Wochenende mit seinen Kindern unternahm) und er verdiente so gutes Geld, dass er mir vorschlug, nicht mehr zu arbeiten. Er würde das gerne übernehmen. Darauf ließ ich mich ein, schon allein deshalb, weil ich mich jetzt endlich ganz und gar meinem Kind widmen konnte.
Es gab also eine emotionale und finanzielle Abhängigkeit, und ich wusste nicht mehr, wie ich aus ihr herauskommen konnte. Mein Antrieb war die Hoffnung und mein grundehrliches Versprechen, alle Höhen und Tiefen zu meistern und unsere Beziehung zu retten.
Doch irgendwann war ich ausgesaugt, leer, vom Alkohol gebeutelt und am Ende meiner Kräfte. Freunde weg und isoliert. Ich war zu dieser Zeit Fitnesstrainerin und keine meiner Teilnehmerinnen hätte jemals auch nur vermutet, was ich durchgemacht habe.
Trotz meiner erfolgreichen Kurse, war ich völlig außerstande, noch irgendetwas Positives an mir zu finden und ich habe es immer wieder und wieder versucht. Das hält bis heute an. Es wird zwar besser, aber es ist sehr zäh und mühsam.