Jeder ist beziehungsfähig, sagt Stefanie Stahl, Autorin des Bestsellers “Das Kind in dir muss Heimat finden”. In ihrem neuen Buch zeigt sie auf, dass eine erfüllte Liebesbeziehung kein Zufall, sondern eine Frage der inneren Einstellung ist. Am Beispiel des bindungsängstlichen Robert und der verlustängstlichen Julia. Ein Buchauszug
Beziehungsanfänge sind oft von einer gewissen Unsicherheit auf beiden Seiten gekennzeichnet. Anfänglich sind zumeist beide Partner bestrebt, sich die Liebe des anderen zu sichern. Der Wunsch, das Liebesobjekt fest einzufangen, ist eng verknüpft mit dem eigenen Selbstwert. Eine Zurückweisung in Liebesdingen greift den Selbstwert massiv an, während eine erfolgreiche Eroberung den Selbstwert stärkt. Das aktive Bindungssystem, das uns in den Zustand der Verliebtheit versetzt, will Kontrolle über die Situation herstellen und den eigenen Selbstwert sichern.
Wenn das Zielobjekt gesichert ist, dann ist der Selbstwert bestätigt und der Bindungswunsch zunächst einmal erfüllt, entsprechend ist das Bindungssystem beruhigt. Ist die Bindung jedoch gesichert, dann erwacht in bindungsängstlichen Menschen die Angst vor dem Autonomieverlust. In einer festen Beziehung angekommen, fühlen sie sich plötzlich von den Erwartungen ihres Partners umzingelt und bereuen so manches Versprechen, das sie in der ersten Leidenschaft gegeben haben. Plötzlich fühlen sie sich unwohl und eingeengt.
Nun springt ihr Autonomiesystem an. Dies führt häufig zum plötzlichen Gefühlstod. Die verliebten Gefühle erkalten, der Partner verliert maßlos an Attraktivität. Sobald Robert das Gefühl hatte, dass er Julia sicher an der Angel hat, fühlte er sich von ihren Erwartungen an ihn vereinnahmt. Ab diesem Zeitpunkt setzte unbewusst die Assoziation zu seiner übergriffigen, erwartungsvollen Mutter ein. Solange er sich jedoch in der Beziehung mit Julia noch nicht ganz sicher wähnte, war er von seiner Angst vor Zurückweisung gesteuert. In dieser Phase ging es nur darum, Julia zu erobern und zu sichern. Das Autonomiesystem sorgt nun, nach der ersten Phase der Verliebtheit, für den notwendigen Sicherheitsabstand, der auch in einer Trennung münden kann.
Typische Merkmale eines aktiven Autonomiesystems sind:
- Man sucht nach dem perfekten Partner.
- Hat man den Partner nach einer Phase der Eroberung sicher an der Angel, setzt der Schwächenzoom ein: Man fokussiert auf die Schwächen des Partners. Die Schwächen erscheinen so ausgeprägt, dass man in heftige Zweifel gerät, ob der Partner oder die Partnerin der oder die Richtige ist.
- Man ist der Alleinherrscher über die Nähe und Distanz in der Beziehung, sprich, man übt eine stark einseitige Kontrolle darüber aus, wann der Partner einem nah sein darf.
- Man legt sich nicht auf eine gemeinsame Zukunft fest und eiert auch häufig um Verabredungen drumherum.
- Man erlebt den Partner als Eindringling im eigenen Revier, wenn dieser sich in der eigenen Wohnung aufhält.
- Man zweifelt an der Beziehung und denkt darüber nach, sich zu trennen.
- Nach Momenten der Nähe zum Partner taucht man ab und stellt wieder Distanz her.
- Man ist häufig nicht erreichbar für den Partner.
- Im Kontakt mit dem Partner schaltet man innerlich ab.
- Man verliert das Interesse an Sex mit dem Partner.
- Man minimiert die gemeinsame Zeit mit dem Partner.
- Man sieht viele andere attraktive potenzielle Partner und/oder schwärmt von seinem Expartner.
- Man fängt eine Affäre an und/oder geht öfter fremd.