Was macht es mit mir, wenn ich eine Dating-App verwende? Wie ändern sich meine Erwartungen und welche Wünsche lassen sich erfüllen? Ein Leserbeitrag von Leia
Früher hätte ich nie gedacht, dass ich jemals eine Dating-App wie Tinder benutzen würde. Ich war jahrelang in einer festen, auf Haus, Hund und Kinder hinauslaufenden Beziehung. Derartiges Bekanntschaftenmachen gab es in meiner kleinen Seifenblase nicht. Heute blicke ich auf ein Jahr Tinder zurück. Auf ein Jahr mit kleinen Abenteuern, die mich groß gemacht haben. Wahrhaft spannend, was ich über mich gelernt habe: Ich habe herausfinden können, welche Wünsche ich habe. Ich musste mir im gleichen Moment auch eingestehen, dass ich in Wahrheit viel oberflächlicher war, als ich mir erhofft hatte. Ich fand heraus, dass ich im wahren Leben ähnlich vorgehe wie bei Tinder.
Beim ersten Mal war es Sehnsucht, ich musste mich ablenken. Ich hatte wirklich bösen Liebeskummer und war sehr einsam. Ich habe mich verlassen gefühlt, mir eine Beziehung gewünscht. Die letzte war eine ganze Weile her und ich hatte das Gefühl, dass mein Leben nur mit einem Mann komplett wäre. Im Nachhinein kann ich natürlich sagen, dass es kompletter Unfug war, da ich mit einer neuen beruflichen Situation und einem Umzug eigentlich schon genug um die Ohren hatte. Aber in so einem Moment bekommt man den Tunnelblick nicht reflektiert. So kam ich also zu Tinder. Zunächst war es mir sehr suspekt, dann lief es irgendwie. Ich habe viele neue Erfahrungen sammeln dürfen, einige Männer getroffen und diese kennengelernt.
1. Runde: Dass ich je eine Dating-App wie Tinder benutzen würde, habe ich nie gedacht
Meine erste Tinder-Phase war sehr erfolgreich. Ich fand zwar keinen Freund, aber konnte meinen Liebeskummer überwinden und habe mich in neuen Situationen mit meinem Verhalten selbst überraschen können. So wurde ich viel ehrlicher und lernte, mehr auf mein Bauchgefühl hören. Ich wurde innerlich groß und mutig. Irgendwann jedoch fand ich es sehr anstrengend, immer wieder von vorne anzufangen. Immer wieder die gleichen Gespräche, immer wieder das Bier im Park. Das war ermüdend und auslaugend. Ich hatte wieder Lust auf Zufall und wand mich von Tinder ab.
Dann folgte ein halbes Jahr, in dem ich eine Beziehung hatte, die mich innerlich zerstörte. Ich hatte mir so sehr einen Freund, einen Vertrauten, gewünscht. Als er dann da war, tat ich alles und das zerfraß mich. Ich wurde krank, hatte keine Energie. Zum Glück sah ich es irgendwann und wir trennten uns.
2. Runde: Bestätigung, Anerkennung, Zuwendung und Komplimente, bitte!
Kurze Zeit danach ging es wieder los mit Tinder und diesmal war ich auf der Suche nach Anerkennung. Ich brauchte Zuwendung für mein zerstörtes Selbst. Ich wollte wissen, dass ich eine Frau war, die es wert war, angesehen zu werden, mit der Mann gerne Zeit verbrachte. Ich traf viele Männer, die mir Komplimente machten. Viele gefielen mir. Die Männer und die Komplimente. Niemals werde ich diese Worte über mein schönes Lachen vergessen. Ich wollte eigentlich keinen Freund, ich wollte wirklich nur Bestätigung. Die erhielt ich und das tat mir gut. Als sich dann eine ernstere Sache anbahnte, bekam ich große Angst. Es war irgendwie schön, dass da wieder jemand war, der mir genau die Gefühle gab, die ich brauchte, um ich selbst zu sein. Trotzdem fürchtete ich, in alte Muster zurückzufallen und meine gerade gewonnene Energie und mein Selbstwertgefühl in einer Beziehung wieder zu verlieren.
Überraschenderweise führte diese zweite Tinderwelle zu einer wirklich schönen Beziehung. Das hat mich sehr beeindruckt, vor allem, weil ich es ursprünglich nicht wollte. Tinder kann also doch was! Die Suche nach Bestätigung hatte mich also wirklich in eine Beziehung katapultiert, das hat sich verrückt angefühlt, aber war wunderbar. Man weiß einfach nie, was so passiert. Wir haben uns mittlerweile wieder getrennt, aber das lag an anderen Dingen.
3. Runde: Keine Beziehung, nur Sex: Das Sprachrohr meiner Krise
Alle guten Dinge sind drei … Diesmal, ehrlich gesagt, war ich mir erst nicht sicher, warum ich mich erneut anmeldete. Vielleicht aus Gewohnheit. Nein, wenn ich in mich rein hörte, wollte ich weder einen Freund, noch Anerkennung, ich wollte Sex. Das heißt also, der Grund, den alle als ausschlaggebend bei Tinder schätzen, traf dann wirklich auf mich zu, verrückter geht’s kaum. Witzigerweise ist diese Phase auch die kürzeste gewesen. Ich bin heute ziemlich glücklich mit mir selbst. Ich brauche keinen Freund, keine Beziehung, keine Komplimente und keinen geplanten Sex. Nach einem Jahr Dating-App kann ich sagen, dass wir gute Freunde geworden sind, wir haben uns viel gegeben. Tinder hat mich zu einer stärkeren, mutigeren und selbstbewussteren Frau gemacht, die im Umgang mit anderen viel über sich selbst gelernt hat. Tinder war das Sprachrohr meiner Krise.
Wir können Erwartungen an andere haben, aber wir sollten uns fragen, aus welchen Sehnsüchten in uns diese entstanden sind. Meine Hoffnung auf Zweisamkeit ist zwar immer noch irgendwo, aber sie ist nicht mehr derart präsent. Ich habe gelernt, dass das Glück, sofern wir eine gute Basis haben, aus uns selbst kommen muss und niemand anderes uns dieses Glück erschafft. Das ist meine Freiheit.
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