Unser anonymer Gastautor hat sein gegenwärtiges halbgares Leben satt und möchte wieder echte, tiefe Gefühle spüren
Manchmal vergehen die Tage, ohne dass ich es richtig mitbekomme. Irgendwie ist es dann ganz plötzlich Abend geworden und der Tag ist schon vorbei. Morgens bin ich aufgestanden und dann ins Büro, habe gearbeitet, zu Mittag gegessen und nach der Arbeit noch eingekauft und mir eine Kleinigkeit gekocht, wenn ich dazu überhaupt noch Lust hatte. Und dann kam diese Wegzeit. So nenne ich die Zeit, die mir abhandengekommen ist.
Wegzeit gibt es besonders an Abenden, aber auch am Wochenende. An Tagen, an denen ich nichts geplant habe. Manchmal habe ich das eigenwillige Gefühl, dass Freizeit mir nicht guttut. Okay, das ist jetzt etwas übertrieben. Was ich meine: Meine wertvolle Freizeit vergeht einfach. Ungenutzt. Und entspannend ist sie auch nicht wirklich. Und das hat einen Grund.
Der Grund ist in meinem Fall klein, schwarz und schmiegt sich viele Stunden pro Tag an mich, bettet sich gerne in meine rechte Handhöhle und bleibt dort genüsslich liegen. Wir sind ein treues Paar. Aber unsere Beziehung könnte besser sein. Gemeint ist natürlich mein Smartphone.
Abends, wenn mir langweilig ist, öffne ich diese eine App, in der mir viele hübsche (und manchmal auch verdammt heiße) Bilder von jungen Frauen in meinem Alter angezeigt werden, die scheinbar nur darauf warten, dass ich sie endlich anschreibe. Also tue ich das. Ich schreibe sie an, mal witzig, mal ernst, mal belanglos, mal gehaltvoll, mal dreist, mal neugierig. Viele sind es nicht, die antworten, aber manchmal kommt ein Dialog mit einer wildfremden Person zustande. Die meisten davon werde ich nie treffen und will sie, ehrlich gesagt, auch niemals treffen.
Diese Frauen, also ihre digitalen Abbilder natürlich, erzeugen in mir Wünsche, Sehnsüchte, sind ein Grund unter vielen, warum ich eine derart enge Beziehung mit meinem Smartphone führe.
Im Hintergrund läuft dabei der Fernseher, irgend so eine Quizshow oder Sitcom, damit es nicht so verdammt still im Wohnzimmer ist. Ich habe inzwischen eine Packung Chips geöffnet und starre gebannt auf das Display meines kleinen schlauen Freunds. Bei jeder Antwort werden in mir für einige Sekundenbruchteile Glückshormone ausgestoßen. Aber wie Glück fühlt sich das leider nicht an. Eher ist es wie bei einem Junkie oder Spielsüchtigen: Wenn mal eine erwartete Dosis ausbleibt, sinkt meine Laune dramatisch und ich tippe nur umso heftiger in die „Tasten“, werde ungehaltener, lustloser, unsubtiler, draufgängerischer. Dann kommt natürlich noch weniger zurück und ich werde noch frustrierter. Und das Schlimme ist, dass mir das eigentlich bewusst ist, die ganze Zeit über. Trotzdem mache ich weiter. Ich kann fast gar nicht anders.
Ein paar Meter Chat später ist dann irgendwie der Abend vorbei. Ich wollte die Langeweile töten, aber das, was ich stattdessen gemacht und bekommen habe, befriedigt mich auch nicht.
Das ist wie ein riesengroßes Nebelfeld, in das ich bereitwillig hineingelaufen bin und aus dem ich nicht wieder herausfinde. Ich horche in die Ferne. Aber das klappt nicht. Der Nebel verschluckt alle Geräusche. Ich strecke meine Arme aus und sehe dann nicht einmal mehr meine Hände. Es ist, als würde ich in einer dumpfen Welt leben, an einer völlig unbefriedigenden Beschäftigung klebenbleiben.
Wegzeit ist nicht mehr da. Wegzeit wird nie wieder zu mir zurückkommen. Und wenn ich ehrlich bin: Wegzeit wurde mir nicht geklaut, sondern ich habe sie mir selber genommen. Herausgeschnitten aus meinem jungen, frischen Leben. Ich hätte etwas Anderes tun können, etwas, das meinen Hunger mehr stillt. Aber ich habe es nicht getan.
Endlich wieder etwas spüren. So richtig intensiv. Ehrlich, aufrichtig. Das wär’s …
Vielleicht ertrage ich diese Stille einfach nicht, die sich ausbreitet, wenn ich mit mir alleine bin. Vielleicht will mein Herz einfach ein zweites an seiner Seite. Vielleicht will ich ab und zu einfach nur … Na, Sie wissen schon. Was ich aber ganz bestimmt will, ist Tiefe. Ich will eine Frau kennenlernen und ihr in die Augen sehen und dabei richtig heftig etwas fühlen. Das muss gar nicht mal gleich Liebe sein oder Verliebtheit. Einfach nur Gefühl. Das Gefühl, völlig da zu sein, mit mir, bei ihr. Genau hier. Genau jetzt.
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