Romantik pur. Thorsten Wittke hat sich “Die Moldau” von Friedrich Smetana wieder angehört und entdeckt, dass es in dem berühmten Lied nicht nur um einen Fluss, sondern vor allem um Liebe und Beziehung geht
Neulich entstaubte ich daheim mein CD-Regal und mir fiel ein uraltes Schätzchen in die Hände. „ Die Moldau“ von Smetana. Ich glaube jeder von uns musste als Jugendlicher durch dieses Musikstück, voller Begeisterung vom Musiklehrer in den CD-Player gelegt, mit der Erwartung hinterher in leuchtende Augen zu sehen. Stundenlang wurde über Tonmalerei gesprochen und über die Bilder, die Smetana vermitteln wollte. In einem Anfall von Nostalgie legte ich die CD ein, lauschte der Musik und begann zu schmunzeln, weil mir eine Interpretation des Stückes in den Sinn kam, die meinen Musiklehrer vom Stuhl gehauen hätte.
Hat Smetana die Moldau mit einer Beziehung verglichen?
Wir erinnern uns: Die Moldau entspringt aus zwei Quellen, dargestellt von erst einer, dann später von zwei Querflöten. Wie in einer Beziehung ist man erst allein unterwegs und ein zweiter Mensch kommt dazu. Beide Melodien sind sich sehr ähnlich und wenn sie zusammentreffen entsteht dadurch eine lautere Melodie, die kräftiger und quirliger klingt. Die beiden Menschen haben sich gefunden und gemeinsam haben sie einen satteren Sound.
Das Paar lernt sich kennen
Dann spielen die Streichinstrumente eine Melodie, die wie Wellen auf und ab steigt und wieder fällt. Das Paar kommt sich näher, man befindet sich in der Kennenlernphase, Erwartungen und Wünsche werden erfüllt und enttäuscht, aber eigentlich stört uns das alles nicht wirklich, weil wir, durch den chemischen Cocktail in unserem Blut, alles durch die rosarote Brille sehen.
Es folgt die Wald – und Jagdszene mit lauten Blechblas-Instrumenten, Trompeten, Posaunen und Waldhörner. Der erste Streit, meist aus völlig banalen Gründen. Vielleicht das zu schnell gesagte „Ich liebe dich“ ohne entsprechende Erwiderung, oder das „Ich möchte mal was ohne dich machen.“
Bei Smetana geht es dann weiter mit der Bauernhochzeit. Eine schnelle Polka, hauptsächlich von Geigen gespielt wie ein lustiger Tanz. Für eine Hochzeit wäre es für ein Paar ein wenig früh, oder nur was für die ganz Wagemutigen. Aber wollen wir ehrlich sein, die Phase nach dem ersten Streit, wenn man wieder gemeinsam am richtigen Leben teilnimmt, gemeinsam Dinge erlebt, Freunde trifft und das Leben und Umfeld des neuen Partners kennenlernt, fühlt sich doch an wie eine nicht enden wollende Hochzeitsfeier.
Die Phase nach dem ersten Streit
Bei Smetana wird die Musik jetzt ganz langsam und leise. Bratschen und Geigen erzeugen den Mondschein und den Nymphenreigen. Für mich fließt die Beziehung ruhig und plätschernd dahin, wir sind glücklich und zufrieden, lehnen uns entspannt zurück und genießen das Leben mit dem neuen Partner an unserer Seite. Es gibt die ein oder andere Irritation und die Wellen gehen wieder auf und ab, aber eigentlich ist alles gut und wir genießen die gemeinsame Zeit, das immer vertrauter werden und wie unser Leben so dahin fließt.
Das geht bei der Moldau und bei den Menschen einige Zeit lang gut. Bei Smetana erwarten uns die St. Johann Stromschnellen, im richtigen Leben die Frage: „Wohin wird uns diese Beziehung führen?“. Die gesamte Musik wird lauter und schneller. Pauken, Blechblasinstrumente und Geigen spielen keine schöne Melodie mehr. Die Instrumente spielen alle durcheinander, durch die Pauken- und Beckenschläge wirkt das Stück sehr gefährlich. Es ist der Punkt; der jede Beziehung mal ereilt, quasi der Scheideweg, Stillstand wird als bedrohlich wahrgenommen, der erste Lack ist ab, Routine und Gewohnheit stellen sich ein und wird als nicht mehr Begehren empfunden. Es rappelt im Karton und zwar richtig.
Beziehung am Scheideweg
Aber Smetana scheint ein ähnlicher Romantiker zu sein wie ich, oder vielleicht gibt es auch einfach nur der Lauf der Moldau vor. Die Stromschnellen sind überwunden und der Fluss strömt breit dahin. Die Musik klingt wie beim Hauptthema, aber viel schneller und bewegter. Haben wir den großen Streit überstanden, schaut auch bei uns die Welt wieder rosig aus. Wir haben das vor uns liegende geklärt, ziehen an einem Strang und mit jedem Tag gewinnt der Beziehungsfluss mehr an Breite, nimmt Fahrt auf und die Beziehungsmusik wird lauter, breiter und schneller.
Die Moldau fließt dann in einer Linie von Akkorden am großen und beeindrucken Schloss Vyšehrad vorbei und die Musik donnert hier ebenso mächtig wie die starken Türme des Schlosses. Die Beziehung hat ein solides Fundament, gemeinsam ist man stark und in der Außenwirkung wirkt man gemeinsam wie ein Fels in der Brandung.
Ein Fels in der Brandung
In dem Musikstück strömt die Moldau majestätisch weiter und entschwindet den Blicken, dargestellt durch die wellenförmige Melodie, die immer leiser wird. Ich sitze in meinem Sessel, mit einem Lächeln im Gesicht. Weil das meine Vorstellung von Beziehung ist, die wie ein großer, breiter Fluss, den jetzt nichts mehr aufhalten kann, dahin fließt. Immer in Bewegung, immer mit wellenförmigem Auf und Ab, gelegentlichen Stromschnellen und vielleicht ein paar bunten Booten darauf, bis am Ende alles im Meer mündet.