Wann ist meine Generation eigentlich falsch abgebogen?

Wir sind Egoisten geworden und haben vergessen, dass der Weg das Ziel ist. Ein Leserbeitrag von Thorsten Wittke

Ich finde es seltsam, dass ich nur noch ganz selten höre: „Das ist der Mensch, mit dem ich alt werden möchte.“ Es scheint nur noch ums Jetzt zu gehen und dieses Jetzt hat gefälligst perfekt zu sein. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Rücksicht auf die Gefühle des Gegenübers. Wichtig ist, dass man in erster Linie seinen Stiefel durchziehen kann und wenig entbehren muss. Alles andere empfindet man als bedrohlich und führt in ganz speziellen Fällen – so albern es sich anhört – in die Depression.

Sind wir auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau? Erkennen wir nicht die  Absurdität des Ganzen, weil wir nicht in der Lage sind, ein wenig Bauchnabelschau zu betreiben, bzw. im Spiegel – wenn er uns denn vorgehalten wird – zu erkennen, was wir da sehen? Stattdessen springen wir lachend in die Kreissäge und wundern uns, warum es mit dem Wunschpartner nicht klappen will.

Ist meine Generation völlig durchgeknallt?

Wann sind wir falsch abgebogen? Bin ich der Einzige, der das seltsam findet? Sind wir nicht clever genug zu erkennen, dass zwar auch der Weg das Ziel sein kann, aber wenn man immer nur auf dem Weg ist, das Ziel niemals erreicht wird? Sind wir ein Opfer der vielfältigen Möglichkeiten geworden oder haben wir vergessen, worum es eigentlich im Kern geht?

Bei meinem letzten Besuch im Supermarkt habe ich mir mal die Mühe gemacht und die Anzahl der angebotenen Camemberts gezählt. Ich kam auf die Zahl 48 und stellte mir die Frage „Wer braucht das eigentlich?“ Danach griff ich zum Camembert, den meine Mama schon gekauft hat. Ich bin scheinbar ein Ewiggestriger.

Auf mich macht es den Eindruck, dass es sich mit dem Beziehungsverhalten ähnlich verhält.  Als es nur drei Camemberts gab, war die Entscheidung schnell getroffen, man legte sich fest, legte den Käse auf das Brot und meist war es dann auch gut. Heute steht man sehr lange vor dem Regal, prüft, vergleicht, nimmt den ein oder anderen in die Hand, legt ihn wieder zurück. Um sich nach langer Auswahl dann doch für einen zu entscheiden, diesen in den Wagen zu legen, um dann auf dem Weg zur Kasse schon daran zu zweifeln, ob es wirklich die richtige Wahl war, die man getroffen hat. Mühsam widersteht man dem Drang, zurück zum Regal zu gehen und geht dann doch zur Kasse und bezahlt. Weil man ja heute die Garantie erhält – sollte der Käse nicht schmecken – darf man alles zurückbringen und umtauschen.

Heute darf man alles zurück bringen und umtauschen

Mit der gleichen Einstellung gehen viele scheinbar heute in Beziehungen, überfordert vom Markt der unendlichen Möglichkeiten, erzogen zu Egoismus und dem vermeintlichen Recht, immer das zu bekommen, was man will, ohne die Verantwortung für die Konsequenzen seines Handelns übernehmen zu müssen. Geschweige denn mit dem Willen, das in eine Beziehung einzubringen, was Partnerschaft wirklich bedeutet: Harte Arbeit und die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen. Und der Willen, auf das ein oder andere zu verzichten und dafür Neues auszuprobieren und seinen Horizont zu erweitern.

Zunehmend scheint niemand mehr in der Lage zu sein, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Von den Eltern dazu erzogen, dass die Welt ein Geschenkkorb ist, an dem man sich nur bedienen muss. Dass man alles erreichen kann und dass man sich nicht mit Mittelmaß zufrieden geben muss. Immer in dem festen Gewissen, dass, wenn das Programm nicht gefällt, man einfach umschalten kann.

Warum wird niemandem der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit bewusst?

Der Wunsch nach Romantik und Zweisamkeit scheint vorhanden zu sein. Jedes Jahr werden Bücher von Nicholas Sparks und Cecelia Ahern verfilmt. Wenn man bei Google „Kate und William“ in die Suchzeile eingibt, erhält man 370.000.000 Einträge in 0,49 Sekunden. Es gibt also definitiv eine Zielgruppe.

Trotzdem kann man gar nicht so schnell scrollen wie sich der Beziehungsstatus auf Facebook bei den Menschen ändert. Von „Single“ auf  „in einer Beziehung“ zu „es ist kompliziert“ und zurück zu „Single“. In immer kürzer werdenden Abständen. Auf Rückfrage erhält man im Normalfall die Antworten »Es hat nicht so gepasst.«, »Es war nicht der/die Richtige«, oder noch schlimmer, » Er/Sie hat mich eingeengt«, »Er/sie hat geklammert«. Es sind die gleichen Menschen, die vorher täglich die Statusseiten vollgemüllt haben, mit putzigen Selfies von zwei glücklichen Menschen. Das Karussell dreht sich immer schneller.

Meine Generation schafft es nicht, erwachsen zu werden

Mit Verantwortung übernehmen und Erwachsensein hat das alles wenig zu tun. 40 ist schließlich das neue 30 und alt werden können wir ja auch noch später. Mich macht es traurig, dass meine Generation es nicht schafft, erwachsen zu werden. Dass sie den Sprung verpasst hat, Verantwortung zu übernehmen. Dass für sie das Leben voller Spaß, Partys und Ablenkung bestehen muss. Dass die Fähigkeit verloren zu sein scheint, sich fest zu binden und gemeinsam ein Ziel zu verfolgen und dass es auch andere Möglichkeiten als Weglaufen gibt, wenn sich Schwierigkeiten auftun.

Ich weiß nicht woran es liegt. Vielleicht daran, dass wir nie Schwierigkeiten gehabt haben oder dass uns immer alle Steine aus dem Weg geräumt worden sind. Oder daran, dass wir immer alle Möglichkeiten hatten, wir immer bestens informiert sind, aber eigentlich gar nichts wissen. Die meisten mussten nie für irgendwas kämpfen oder hatten den Druck, mal etwas tun zu müssen, wozu sie keine Lust hatten. Vielleicht muss deshalb heute alles Spaß machen. Der Beruf, die Freizeit und eben auch die Beziehung. Man liegt in dieser Spaß-Hängematte, mit einem Schirmchendrink in der Hand, und wenn ein paar Wolken am Himmel aufziehen, wechselt man die Location. Irgendwo wird’s schon schön sein. Irgendwo wird es schon Action geben – damit es bloß nicht langweilig wird.

Vielleicht habe ich als Kind zu viele Disney Filme gesehen. Vielleicht ist es seltsam, dass ich meine Eltern dafür bewundere, wie sie es mittlerweile 47 Jahre miteinander geschafft haben. Vielleicht ist es wunderlich, dass ich einen Kalenderspruch gut finde, der lautet: „Was Oma und Opa noch wussten: Man darf den Partner auch mal Scheiße finden, trotzdem kann man über 50 Jahre glücklich verheiratet sein.“  Aber scheinbar gehöre ich damit zu einer aussterbenden Art. Ich bin wohl ein Dinosaurier, der noch nicht begriffen hat, dass auf diesem Planeten Eiszeit herrscht.


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