Jule Blogt stalkt und quält sich mit dem Vergleich mit seinen Ex-Freundinnen. Denn sie ist nicht instagramgefiltert, nicht Make-Up zugekleistert, nicht geselfiestickt, und erst recht nicht Germanys Next Topmodel
Ich hasse soziale Medien! Im Moment gibt es glaube ich nichts, was ich mehr verabscheue! Der Impuls, meinen Laptop einfach mal im hohen Bogen von der Terrasse zu werfen, wird von Minute zu Minute stärker. Auf seinem Weg über fünf Etagen bis zum Aufschlag hat er genug Zeit sich zu überlegen, warum er diesen spontanen Flug verdient hat. Vor meinen Augen strahlt mich ein Facebookfenster an. Schön blau ist es, bunte Bilder und viele Textzeilen machen den Anschein, als wäre die Welt eigentlich vollkommen in Ordnung. Doch der Schein trügt. Ich weiß nicht, ob ich ein psychisches Problem habe, oder einfach nur eine typische Frau bin. Ich stalke!
Ich stalke mit Leidenschaft. Seit meinem zwölften Lebensjahr bin ich im Internet unterwegs, die „Berufserfahrung“ ist also reichlich vorhanden. Vor mir ist keine Person sicher. Allein ein kleines persönliches Detail reicht mir, um alle sonstigen verfügbaren Informationen im Netz herauszufinden. In den letzten Jahren habe ich das Stalken perfektioniert. Einfach einen Namen bei google eingeben? Da lache ich doch drüber! Ich kenne gefühlt jede kleine dunkle Ecke im Internet, in der sich Informationen finden lassen. Das schützt mich natürlich vor Menschen, die vorgeben etwas zu sein, es aber nicht sind. Soweit, so gut. Aber seitdem es Facebook gibt, ist stalken zu einfach geworden. Die ausführlich gefüllten Profile, Beiträge von Freunden in der Timeline, es öffnet sich sozusagen das komplette Leben einer Person vor meinen Augen. Lieblingsfilme, Lieblingsbands, bevorstehende Veranstaltungen. Es ist zum Kotzen! Nicht, weil es mir den Spaß am Durchforsten des Internets nimmt, sondern weil es für mich eher einen Overkill an Informationen verursacht. Ich will das ja alles wissen, aber wenn ich es weiß, bereue ich es.
Overkill an Informationen
Kennt ihr das, wenn ihr starkes Interesse an einer Person habt und euch durch die vielen kleinen Informationen ein Bild zusammenstellt? Dieses Bild ist ziemlich detailliert und die eigene Meinung bildet sich so rasch, dass auch ein schnelles Schließen des Fensters nicht ausreicht. Wann war er wo auf welcher Party und warum zum Teufel hat er sich dafür die Haare nicht gemacht? Wer sind seine Freunde? Ganz besonders wichtig: Wer sind seine Ex-Freundinnen? Habe ich mich einmal in diesen Strudel an Informationen gestürzt, kann ich nicht mehr aufhören. Aha, mit der war er also im Urlaub und mit der anderen ist er ständig auf Partyfotos zu sehen. Wenn ich die Frau erwische, stelle ich ihr auf der Treppe ein Bein! Ups, sorry, manche Gedanken sollten vielleicht doch nicht aufgeschrieben werden. Das hat nichts mit Eifersucht zu tun, von der bleibe ich gottseidank meistens verschont. Allerdings nagen andere schöne Frauen in Gegenwart meines „Zielobjektes“ immens an meinem Selbstbewusstsein. Wenn er normalerweise nur mit solchen Instagram-Models rumhängt, was will er dann mit mir? Ich glaube, man bescheißt sich ganz gerne selbst, wenn es in so einer Situation um die Attraktivitätseinschätzung anderer Menschen geht. Nimmt man jemanden als Konkurrenz wahr, wird jeder einzelne Quadratzentimeter dieser Person mit sich selbst verglichen. Da kann man nur verlieren!
Jedes instagramgefilterte Selfie nährt die Selbstzweifel
Gerade die geschönten Facebookpersönlichkeiten, sehen vermutlich im realen Leben mitnichten so sexy und unwiderstehlich aus, wie ich sie in diesen Momenten wahrnehme. Doch jedes perfekte instagramgefilterte Selfie nährt die Selbstzweifel in mir. Da kann ich nicht mithalten! Im Vergleich sehe ich mich als ein kleines graues Entchen vor dem Laptop sitzen, welches sich wegen seiner Speckringe kaum mehr fortbewegen kann. Ungeschickt watschle ich zum Spiegel und traue mich kaum, mich einmal im Kreis zu drehen. Da helfen nicht mal die besten Filteroptionen, denke ich. Ich bin einfach zu „normal“, zu 0-8-15. Irgendwann wird er das merken und mich gegen so ein Möchtegern-Model austauschen, denke ich. Eigentlich, hab ich da gar keine Chance! Eigentlich ist sowieso alles sinnlos. Ich hasse mein Hirn dafür, dass es mir so etwas einredet. Bin ich doch normalerweise das Selbstbewusstsein in Person. Dass ich toll bin, muss man mir normalerweise nicht noch aufs Brot schmieren. Ich kenne meine Vorzüge und bin sogar der Meinung, dass sich ein Mann glücklich schätzen kann, meine Zuneigung zu bekommen. Doch das alles löst sich in Luft auf, wenn mich jemand in seinen Bann gezogen hat.
Früher, als Facebook noch Quark im Schaufenster war, wusste man wenig über das Objekt der Begierde, und das war gut so! Man hatte keine gekünzelten Selfies im Kopf, welche direkt ein „Die haben doch was miteinander!“ im Hirn auslösten. Ein Kopfkino, welches wenig Material hat, produziert gottseidank nur Kurzfilme. In diesem Sinne bleibt mir nur eines zu sagen: Danke für nichts, liebes Facebook! Wegen dir quälen mich nun allerlei Selbstzweifel! Es ist für mich wie eine Sucht, ständig die Profile der möglichen Konkurrenz zu checken. Es ist ekelhaft. Es fühlt sich auch ekelhaft an. Doch ich kann es nicht lassen. Es ist ein bisschen wie in „Anleitung zum Unglücklich sein“ von Paul Watzlawick. Ein Mann redet sich so lange ein, dass sein Nachbar ihm sicherlich keinen Hammer leihen würde, bis er fest davon überzeugt ist. Er steht nun vor der Tür des nichtsahnenden Nachbarn von Gegenüber und brüllt: „Ich will deinen Hammer nicht! Du kannst deinen verdammten Hammer behalten!“
Also liebe Männer: Ihr könnt eure Tussifreundinnen behalten! Ich bin nicht instagramgefiltert, nicht Make-Up zugekleistert, nicht geselfiestickt, und erst recht nicht Germanys Next Topmodel.
Tja liebes Laptop, du hättest dir vorher überlegen sollen, ob du mich stalken lässt! Einfach selbst ausschalten, es wäre so einfach gewesen. Nun beschwer dich nicht, dass du nicht besonders gut fliegen kannst. Und du, liebes Smartphone, fliegst gleich hinterher, wenn du nicht sofort dieses Pärchenselfie schließt! Diese Technik …